Wie viele seiner Landsleute, verließ Ali Malek den Iran aufgrund der Politik, die dort immer zu Lasten des Volks betrieben wurde. Die einen flohen wegen des Schahs, die anderen später wegen der Ajatollahs: „Mit denen wurde die Lage ja keinesfalls besser, nur anders. Die Leute wollten Freiheit. Sie haben sich vertan“, sagt Ali, während er etwas Platz auf der Arbeitsfläche seiner geräumigen Küche schafft. Die Erlebnisse seiner Jugend haben ihn geprägt - Skepsis gegenüber jedweder Obrigkeit ist ihm geblieben.
In zwei Schüsseln auf der steinernen Ablage werden seit dem Vorabend rote Bohnen und Kichererbsen eingeweicht. Sie sorgen für die Substanz des Abguscht, eines iranischen Lammeintopfes. „Eigentlich gehören da weiße Bohnen rein. Ich nehme aber immer rote, die schmecken mir besser.“ Fleisch, Kartoffeln, Tomaten und diverse Kräuter harren neben dem Herd der Verarbeitung.
„Im Iran kamen fast jeden Abend Nachbarn oder Freunde vorbei, oder man hat selbst Bekannte besucht.“ Gekocht wurde immer genug, um zwei Familien satt zu bekommen. Das hält Ali heute noch so, auch wenn die deutschen Freunde sich mit spontanen Besuchen schwerer tun. „Wenn etwas übrigbleibt, ist das okay. Wenn es zu wenig ist, nicht.“
Ali ist in Teheran als einziger Sohn mit vier Schwestern aufgewachsen. Essen war immer ein wichtiger Bestandteil des Familienlebens, aber Kochen war Frauensache. „Ich koche nicht, weil ich kochen muss, sondern weil ich Freude daran habe“, sagt Ali, während er die Kichererbsen und die Bohnen in zwei getrennten Töpfen vorkocht. Und die Grundlage der Freude ist Wissen: „Man kann auch mit wenig Geld gut kochen. Man muss nur die richtigen Zutaten wählen. Aber viele Menschen in Deutschland haben gar kein Verhältnis mehr zu dem, was sie essen.“ Aber langsam, meint er, wächst das Interesse an der Ernährung: „Früher gab es hier kaum Gewürze zu kaufen. Heute findest du Kurkuma in jedem Supermarkt.“
Längst lebt Alis ganze Familie in Deutschland, er hat selbst zwei Töchter und arbeitet als Informatiker. Die Sehnsucht nach der alten Heimat hält sich in Grenzen: „Man vermisst das, was in der Erinnerung ist”, sagt er. „Aber das Land hat sich verändert.“
Vom Lamm liegen Hals und Rippe bereit. Die Rippe gibt viel Fett für den Geschmack, der Hals hat weniger Fett, dafür mehr Fleisch. „Ich koche das im Stück so lange, bis es fast von alleine zerfällt. Die Nervenbahn, die parallel zur Wirbelsäule läuft, kann man nicht essen.“ Ali nimmt ein scharfes kurzes Messer und trennt sie heraus: „Man kann sie aber auch einfach aus dem Topf nehmen, wenn das Fleisch zerfällt.“
Das Lamm kommt mit gehackten Zwiebeln in den Topf, dann je drei Kellen Kichererbsen und Bohnen dazu. Außerdem Dosentomaten und ein paar frische. „Tomaten aus der Dose haben mehr Geschmack und auch mehr Farbe. Viele Iraner benutzen auch Tomatenmark.“
Weitere Farbe bringen vier Teelöffel Kurkuma, Geschmack gibt ein Teelöffel gemahlener Kreuzkümmel. Ali füllt den Topf mit Wasser auf, bis die Zutaten alle gerade bedeckt sind, und salzt. „Man kann das Salz auch am Schluss dazu geben. Ich mache es immer am Anfang, dann bleibt der Geschmack im Fleisch, sonst geht er in die Suppe.“
Nach etwa einer halben Stunde legt Ali noch drei ganze, geschälte Kartoffeln in die Suppe und holt eine Tüte verschrumpelter brauner Kugeln aus dem Schrank. „Das sind getrocknete Limetten. Davon nehme ich vier Stück und steche sie rundherum mit einer Gabel an. Dann kann der säuerliche Geschmack während des Kochens in die Suppe ziehen.“ Die Limetten gibt es in iranischen oder afghanischen Spezialitätenläden.
Das Abguscht steht dann noch eine weitere Stunde auf dem Herd, bis alles gar ist. In der Zwischenzeit mischt Ali für den Salat Estragon, Petersilie und iranische Minze mit Radieschen und Lauchzwiebeln.
Ali probiert die Suppe mit einem großen Löffel. „Hm, vielleicht hätten drei Limetten auch gereicht, aber das geht schon“, meint er und fischt alle festen Bestandteile aus der Brühe. Limetten und Knochen werden beiseitegelegt. Fleisch und Gemüse stampft er mit einem Holzmörser, bis eine feinfaserige Masse entsteht.
In die verbleibende säuerliche Suppe reißt sich jeder ein paar Stückchen Fladenbrot, die Lammpaste wird anschließend serviert. Wieder mit Fladenbrot. „Iraner sind ein bisschen wie Deutsche“, sagt Ali. „Sie lieben Brot. Und am nächsten Tag kann man die Paste kalt als Brotauftrich verwenden.“
Abguscht
- 1 Lammhals, 1 Stück Rippe oder 2 Lammhaxen
- 2 Zwiebeln
- 1 ½ TL Kurkuma
- 400-500 g geschälte Kartoffeln
- 100 g Kichererbsen
- 100 g rote Bohnen
- 1 TL Kreuzkümmel
- 3-4 getrocknete Limetten
- 2-3 frische Tomaten
- 1 Dose Tomaten
- Salz und Pfeffer nach Geschmack
- Kichererbsen und Bohnen über Nacht einweichen lassen, weichkochen und abgießen.
- Zwiebeln und Fleisch mit etwas Öl in einen Topf geben, Kichererbsen und Bohnen dazutun. Mit kaltem Wasser angießen, bis alles bedeckt ist. Tomaten, Limetten, Salz, Pfeffer, Kreuzkümmel und etwas Kurkuma dazugeben und ca. 1-1 ½ Stunden kochen lassen. Etwa ½ Stunde vor Schluss die Kartoffeln hinzufügen.
- Alle festen Bestandteile aus der Brühe nehmen. Das Fleisch von Knochen und Sehnen trennen und mit Kartoffeln, Bohnen, Kichererbsen und Tomaten stampfen, bis alles zu einer Paste wird.
- Fleischpaste und Suppe nacheinander mit Fladenbrot servieren.