Herrn Paulsens Deutschstunde: Linsensuppe

Bei der Linse zählen hauptsächlich die inneren Werte, nicht der große Auftritt. Dennoch lieben sie Menschen auf der ganzen Welt. Das verdanken die flachrunden Samen vor allem ihrer Genügsamkeit

Weltstar geht anders: Sie ist klein, bescheiden und beständig. Bei ihr zählen hauptsächlich die inneren Werte, nicht der große Auftritt. Dennoch lieben Menschen auf der ganzen Welt die Linse. Das verdanken die flachrunden Samen aus der Familie der Schmetterlingsblütler vor allem ihrer Genügsamkeit: Sie gedeiht da, wo andere Nutzpflanzen nur siechen, sie kämpft sich aus kargen, trockenen Böden zart ans Licht, erträgt Hitze, Kälte und Höhe. Darum wächst und gedeiht die Linse nicht nur in ihrer Heimat, dem Nahen Osten und Zentralasien, circa 9000 v. Chr. erreichte sie das heutige Europa. Dies belegen Funde der Lens culinaris in den Höhlen von Franchthi in Griechenland, der wohl ältesten europäischen Siedlungsstädte der Steinzeit, aber nicht nur dort.

Im Frühjahr 2019 machten die Archäologen Jacob Vardi und Hamoudi Khalaily in Israel einen sensationellen Fund. Nur fünf Kilometer von Jerusalem entfernt fanden sie die größte jemals in der Levante entdeckte Siedlung. Sie ist um die zehntausend Jahre alt und war mit etwa dreitausend Einwohnern in ihrer Zeit eine Metropole. Neben Spuren von Viehhaltung wurden auch Lagerhäuser voller Hülsenfrüchte entdeckt – Hinweise auf eine für viele Menschen organisierte Landwirtschaft. »Das ist eine bahnbrechende Entdeckung«, sagte Vardi in einem Interview mit der Times of Israel, »dieser Ort wird unser Wissen über die Jungsteinzeit drastisch verändern.«

Archäologisches Gespür bewies auch der deutsche Bio-Pionier Woldemar Mammel von der Öko-Erzeugergemeinschaft Alb-Leisa. Seit Mitte der 1980er-Jahre war er der Alblinse auf der Spur, einem kulinarischen Erben der Schwäbischen Alb. Auch in dieser Anhöhe mit ihren steinigen Böden pflegte man seit 500 v. Chr. den Linsenanbau. In den Wirtschaftswunderjahren der 1950er- und 1960er-Jahre verschwand die Alb-Leisa, das einstige Überlebensessen hatte ausgedient. Jahrzehntelang suchten Mammel und Mitstreiter nach Saatgut der alten Sorte. Erst bei seinem zweiten Besuch in der drittgrößten Saatgutbank der Welt, dem Wawilow-Institut in St. Petersburg, wurde Mammel 2006 fündig: Die Samen waren aufgrund eines Schreibfehlers falsch abgelegt worden. Die schöne Geschichte erklärt auch, warum Linsen mit Spätzle (siehe Deutschstunde Effilee #12, Herbst 2010) das Nationalgericht der Schwaben sind.

Die Linse wird als alternative Proteinquelle für fleischloses Glück wiederentdeckt

Deutschlandweit hat es die Linsensuppe in den Status des Seelenessens geschafft, im folgenden Rezept geben Suppengemüse und geräucherte Rippchen viel Würze. Die Wurst zur Suppe ist meiner schwäbischen Seele geschuldet und wird, wie die Rippchen, immer unpopulärer. Eine junge und kluge Generation entdeckt die Linse gerade wieder als alternative Proteinquelle für fleischloses Glück – damit steht sie ganz in der Tradition der zehntausendjährigen Geschichte der Linse. Eiweißlieferant – das war ernährungsphysiologisch schon immer die Bestimmung des Weltstars unter den Hülsenfrüchten.

Linseneintopf

Für 4–6 Personen
Zubereitungszeit: 1 Stunde
1 Bund Suppengemüse
  • 1 große Zwiebel
  • 150 g durchwachsener Speck am Stück
  • 2 EL Öl
  • 250 g Pardina-Linsen (wahlweise Tellerlinsen)
  • 30 g Tomatenmark
  • 2 Lorbeerblätter
  • 1 kg geräucherte Rippchen (beim Metzger vorbestellen)
  • 20 g weiche Butter
  • 1 TL abgeriebene Bio-Zitronenschale
  • ½ TL Majoran, getrocknet
  • ½–1 TL Kümmelsaat
  • 1 Sardellenfilet (Anchovis), optional
  • Salz
  • 1–2 Saitenwürstchen, Frankfurter Würstchen oder Wienerle
  • ½ Bund Petersilie
  1. Das Suppengemüse waschen, putzen und würfeln. Die Zwiebel pellen und würfeln. Speck von der Schwarte und in dicke Scheiben schneiden, die Speckscheiben mit der Schwarte und den Zwiebeln in einem Topf im Öl goldbraun braten. Schwarte entfernen.
  2. Die gewürfelten Suppengemüse mit den Linsen und dem Tomatenmark zugeben, unterrühren und kurz andünsten. Mit Wasser auffüllen, sodass es zwei Fingerbreit über den Linsen steht. Lorbeer zugeben. Die Räucherrippchen einlegen, alles aufkochen, den entstehenden Schaum mit einer Schaumkelle abschöpfen. 30 Minuten zugedeckt leise köcheln lassen.
  3. Für die Gewürzbutter die Butter auf ein Brett streichen, mit abgeriebener Zitronenschale, Majoran, Kümmel bestreuen, Sardelle dazugeben und durchhacken.
  4. Die Rippchen mit einer Fleischgabel ausstechen, leicht abkühlen lassen, das Fleisch abziehen und zurück zum Eintopf geben. Die Gewürzbutter zugeben und weitere 15 Minuten offen köcheln lassen. Erst jetzt den Eintopf mit Salz würzen. In einem zweiten Topf Wasser aufkochen, vom Herd ziehen, Würstchen zugeben und 8 Minuten ziehen lassen. Petersilie grob schneiden oder zupfen, vor dem Servieren den Eintopf damit bestreuen. Mit Würstchen servieren.
Tipp: Für eine vegetarische Variante des Linseneintopfs verwenden Sie 200 g kräftig geräucherten Tofu, der – nicht zu klein gewürfelt – in den letzten 15 Minuten mitkochen darf. Auch eine Messerspitze geräuchertes Paprikapulver bringt rauchige Noten.
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Aus Effilee #51, Winter 2019/2020
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