2007 Castello Di Brolio, Chianti Classico DOCG

Toskana – Wie ein Weingut nach der Massenproduktion den Weg zur Tugend zurückfindet.

Sebastian Bordthäuser schreibt über Wein, Sake und Cocktails und ist Sommelier in Steinheuers Restaurant
Sebastian Bordthäuser schreibt über Wein, Sake und Cocktails und ist Sommelier in Steinheuers Restaurant

Es ist Mitte Oktober. Ich fahre mit dem Önologen Massimiliano Biagi durch die teils sehr jungen Rebanlagen des Castello di Brolio und er erzählt, was sich alles verändert hat, seitdem der Barone Francesco Ricasoli 1993 die Firma zurückgekauft hat.
Im Jahr 1141 ging das Castello di Brolio in den Besitz der Adelsfamilie Ricasoli über. Der Chianti, wie wir ihn heute kennen, war damals als solcher noch nicht definiert. Bis 1872 ein gewisser Bettino Ricasoli den Codex Ricasoli festlegt.
»Ricasolis Formel ist mit einigen Änderungen noch heute in Kraft. Es dürfen sogar 100 Prozent Sangiovese verwendet werden, auch internationale Verschnittpartner wie Cabernet Sauvignon und Merlot sind mittlerweile zugelassen«, erzählt Massimiliano und zeigt mir zur Linken die Einzellage Colledila, die als reiner Sangiovese auf den Markt kommt.
Das Haus Ricasoli ist nicht nur verantwortlich für den Erfolg des Chianti, sondern veranschaulicht auch sehr gut die jüngere Geschichte der Region. Der Vater Francesco Ricasolis verkaufte in den 70er-Jahren die kompletten Markenrechte an Castello di Brolio samt Kellerei an den kanadischen Getränke-Großkonzern Seagrams. Der schraubte die Jahresproduktion in schwindelerregende Höhen von über zehn Millionen Flaschen.
Doch parallel passierte einiges in der Toskana: Die Super Tuscans nehmen den Platz ein, den die folkloristische Massenware Chianti freigegeben hat.
Das Elend setzte sich fort, bis Francesco, der bis dato mit Wein nichts zu tun hatte, auf Bitten seiner Familie 1993 die vor der Insolvenz stehende Firma zurückkauft.
Massimiliano erzählt: »Es war Zeit sich neu zu positionieren und gründlich aufzuräumen. Der Barone begann dies mit äußerster Sorgfalt, indem er sich an die Universität Florenz und an die Versuchsanstalt für Weinbau in Arezzo wandte. Bezüglich der Klone unterschied man bislang in Sangiovese grosso und Sangiovese piccolo. Durch die Untersuchung des genetischen Materials bekam man jedoch folgendes heraus: Über 70 endemische Kreuzungen der Sangiovese waren über die Jahrhunderte mutiert und wuchsen wild durcheinander, viele voller Viren. Auch der Befall durch Esca, einen Pilz, war enorm. Aus diesem Genpool wurden zwölf Klone selektiert, die seitdem Plot für Plot neu angepflanzt werden. 204 Hektar sind bislang neu bestockt.« Daher die vielen jungen Rebanlagen.
Um optimale Ergebnisse zu erzielen erweiterte man die Forschung auf geologische Untersuchungen. Das gesamte Anwesen wurde bezügliche seiner Bodenformationen, der chemisch-physikalischen Eigenschaften, der Höhenunterschiede der Lagen sowie deren Ausrichtung und ihres Mikroklimas untersucht, um so die bestmöglichen Voraussetzungen für einen Spitzen-Chianti zu schaffen.
Ich probiere mit dem Kellermeister Marco Cerqua die einzeln geernteten und hauptsächlich in Tonneaux statt in Barriques ausgebauten Partien der Weine. Jede Rebsorte zeigt seine sortentypische Charakteristik, der Merlot schmeckt tuscanified. Der 2007er Castello di Brolio hat eine präzise Nase nach Kirschen, vermählt mit zehn Prozent Merlot und zehn Prozent Cabernet zu einem Feuerwerk. Ätherische Noten nach Pfeffer und Kräutern vermischen sich mit etwas Vanille und Tabak. Gewachsen auf Kalk-Kiesböden hat er eine solide Mineralität und im Mund einen guten Grip. Castello di Brolio zeigt, dass nicht nur kleine Weingüter, sondern auch ein Unternehmen mit 230 Hektar außerordentliche Qualität liefern kann, die Maßstäbe setzt.

Text: Sebastian Bordthäuser
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Aus Effilee #23, Winter 2012
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