Kurze Reise nach Gorgona

Auf einer klitzekleinen Insel im Toskanischen Archipel hat sich ein italienischer Winzer ein großes Ziel gesteckt: die Reintegration von Strafgefangenen durch Weinbau. Unsere Autorin war dort und hatte ein Gläschen

Text und Fotos: Karen Sapre

Ein Wein soll beim Trinken eine Geschichte erzählen können. Diesen Satz hört man auf jeder hochwertigen Verkostung mindestens ein Mal. Was mag er nur bedeuten? Jedenfalls hatte ich diesen Satz im Hinterkopf als ich mich aufmachte, einer ganz besonderen Einladung zu folgen.
Einer Einladung nach Italien, auf eine Insel vierunddreißig Kilometer vor Livorno. Sie heißt Gorgona und ist Europas letzte Gefängnisinsel. Dort wird Wein angebaut und zwar mit Hilfe von Häftlingen. Diesen Wein wollte ich trinken.
An einem grauen Junimorgen war es so weit. Ich stand in einem Pulk von Journalisten und Weinexperten aus der ganzen Welt im Hafen von Livorno. Wir warteten auf das Boot, das uns nach Gorgona bringen sollte. Viele kannten sich und begrüßten sich eifrig. Mich kannte natürlich niemand. Louisa, die Frau fürs Organisatorische, stellte mich vor. Es war ganz schön aufregend, das will ich nicht verheimlichen. Das Mittelmeer war an diesem Tag auch ein wenig aufgeregt und machte auch kein Geheimnis draus. Die Überfahrt zur Insel war schaukelig.
Bei der Ankunft wurden wir von Polizisten und Gefängniswärtern erwartet. Die Besichtigung des Hundertzwanzig-Seelen-Dorfs war schnell erledigt. Louisa, eine drahtige Frau unter einem Riesenstrohhut und in einem geblümten Hosenanzug, sah ihre Hauptaufgabe darin, dafür zu sorgen, dass jeder mit jedem redete. So kam ich zur Ehre der Bekannschaft mit dem Marchese Lamberto Frescobaldi, dem italienischen Winzer, der die Häftlinge auf der Insel beschäftigt und, nebenbei bemerkt, aus eigener Tasche für ihre Arbeit bezahlt, damit das Gewächs nicht durch den Hauch eines Geruches nach Arbeitslager oder Sklavenhaltung getrübt wird.

Während wir beide kräftig schwitzend die Treppen zum Weinberg hochgingen, fragte ich ihn, warum er sich ausgerechnet hier engagiere. »Very simple …«, war seine Antwort. Er habe gesunde Kinder und sei ein glücklicher Mensch. Etwas von dem Glück, das ihm zuteil wurde, möchte er der Welt auf diese Art und Weise zurückgeben. 2012 erfuhr er, dass die Regierung einen Pächter für die Gefängnisinsel suchte. Hätte sie keinen gefunden, wäre die Schließung die Folge gewesen, die Kosten waren einfach zu hoch. Das wäre auch das Ende dieses Beispiels für humanen Strafvollzug gewesen. Er weiß nicht, ob das eine kluge Entscheidung war, er ist einfach seinem Bauchgefühl gefolgt. Gewinn wird er hier keinen machen, also freut er sich am sozialen Aspekt der Sache. »Social Responsbility«, nennt es der groß gewachsene Marchese aus Florenz.
Die klimatischen Bedingungen, um hochwertigen Wein anzubauen, sind gegeben, erzählt Frescobaldis Kellermeister. Für eine Mittelmeerinsel ist es relativ windstill, dadurch werden die Trauben nicht allzu süß. Das Klima ist warm. Im vergangenen Jahr wurde der erste Jahrgang abgefüllt und verkauft. Zweitausendsiebenhundert Flaschen, eine Cuvée aus den Sorten Vermentino und Ansonica, die für diese Region typisch sind und sich für das Klima und die Bodenbeschaffenheit der Insel besonders gut eignen.
Meine Spannung auf den ersten Schluck dieses Weins stieg. Nur eine Fahrt mit dem kaputtesten Fiat Panda, in dem ich je gesessen habe (»We have no money for reparations!«), trennte mich noch von der Terrasse, auf der das Geheimnis um den Gefängniswein gelüftet werden sollte.
Es war eine Offenbarung: Er schmeckte wie die Insel, sehr erdig und mineralbetont. Er roch wie der Boden, auf dem wir vorhin noch gestanden hatten, hatte eine gute Struktur und einen wunderbar langen Abgang. Die Sonne kam raus, ich fühlte mich wie auf Capri und nicht wie auf einer Gefängnisinsel für siebzig Langzeithäftlinge. Der erste Schluck hatte den Geruch von Gorgona auf meiner Zunge zurückgelassen. Das macht froh und zufrieden. Und in dieser Stimmung fuhr ich auch heim.

Erhältlich ist der »Frescobaldi per Gorgona« um 65 Euro pro Flasche über www.ludwig-von-kapff.de. Im Sommer kann Gorgona an Wochenenden nach Voranmeldung besichtigt werden. www.toscanatrekking.it

Meine Meinung …

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Aus Effilee #30, Herbst 2014
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