Auf halbem Weg zu Elcin Schützes Wohnung im fünften Stock stehen Kaffeetassen auf einem Treppenabsatz. Schnaufend halten wir inne. Wahrscheinlich die Hinterlassenschaft einer älteren Expedition, ein aufgegebenes Höhenlager. Nach etlichen weiteren Metern empfängt uns Elcin Schütze: »Willkommen in meiner kleinen Küche.« Wir setzen uns an den Tisch vor dem Fenster - wir haben schon kleinere Küchen gesehen. »Schade, dass der Himmel bedeckt ist, sonst sähen wir nachher einen tollen Sonnenuntergang.« Sie stellt jedem ein Glas Wasser auf den Tisch. »Ich liebe meine Küche. Ich habe einfach meine Sachen reingestellt und alles passte sofort.«
Seit zweieinhalb Jahren wohnt sie hier, möglicherweise aber nicht mehr lange. »Das hängt von meiner beruflichen Zukunft ab. Außerdem ziehe ich ohnehin relativ viel um, bislang allerdings immer nur innerhalb Hamburgs.« Geboren wurde Elcin vor 35 Jahren in dem Krankenhaus am Ende ihrer Straße. Im Moment arbeitet sie als Kunsthistorikerin im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, allerdings nur in Teilzeit - und irgendwann muss mehr Geld reinkommen. »Es gibt nur zwei andere Städte, in denen ich mir vorstellen kann zu leben: Berlin und Istanbul.«
Ihr Vater kam 1961 aus der Türkei nach Deutschland, er war einer der ersten türkischen Gastarbeiter in Hamburg. Er war allein, Frau, Ehe, Familie, das kam alles deutlich später. »Mein Vater wollte vor allem nicht den Betrieb seines Vaters übernehmen. Und dann landete er bei den 68ern. Er hat in Kommunen gelebt und für einen jungen Türken zu dieser Zeit ein sehr untypisches Leben geführt.« Auch Elcins Mutter stammt aus der Türkei. Drängt sich die Frage auf: Woher kommt ihr Nachname? »Der ist angeheiratet. Ich war mal verheiratet, habe dann aber festgestellt, dass das nicht mein Leben ist. Doch der Name hat mir gefallen. Den habe ich behalten.«
Für diese Runde Drei Töpfe stehen Hackbällchen auf dem Programm. »Ich mache die Köfte im Prinzip so, wie meine Mutter sie macht. Meine Mutter mag zum Beispiel keinen Knoblauch, deshalb kommt auch bei mir keiner ran. Ich bekomme sie allerdings nie so gut hin, obwohl ich alles genauso mache.« Elcin legt Rinderhack in eine Schüssel. »Man könnte das mit Lammhack mischen oder nur Lammhack nehmen, aber wenn das Lamm schon älter ist, schmeckt es immer gleich so hammelig. Das ist mir zu streng. Jedenfalls kein Schweinehack.« Offiziell sind in der Türkei 98 Prozent der Bevölkerung Muslime. Das verschafft den türkischen Schweinen ein vergleichsweise stressarmes Leben. Elcin schält eine Zwiebel. »Wenn man, im Gegensatz zu meiner Mutter, Knoblauch mag, kann man natürlich eine Zehe reinreiben.«
Elcin wäscht einen Bund Petersilie und schneidet sie ins Hack. »In Deutschland kennt man als türkisches Gericht vor allem Kebab, aber die Türken essen gar nicht viel Fleisch. Die Türkei ist ein echtes Gemüseland, es werden unendlich viele Gemüsesorten angebaut. Die Bevölkerung war lange ziemlich arm, deshalb wurde nicht viel Fleisch konsumiert. Und wenn es Fleisch gab, dann oft als Hack, das mit Gemüse gemischt wurde.«
Elcin reibt eine Zwiebel zum Hack und weicht unter fließendem Wasser Toast in der Hand ein. »Türken machen viel mit der Hand. Zwiebeln würfeln, Gemüse schneiden oder eben Brot einweichen. Das hat den Vorteil, dass man nicht so viel abwaschen muss.« Sie legt das eingeweichte Toast zum Hack und nimmt die nächste Scheibe. »Ich nehme an, das kommt von früher. Die Türken sind nomadischer Herkunft, da hatte man in seiner Jurte nicht viel Platz und deshalb wenig Geschirr. Also hat man die Zutaten in der Hand verarbeitet. Das ist aber nur meine Theorie. Man müsste mal einen Volkskundler fragen.« Sie legt die zweite Scheibe Toast zum Hack und nimmt eine dritte. »Ich rechne eine Scheibe Toast auf 100 Gramm Hack. Das sind gut 500 Gramm Hack, also fünf Scheiben.«
Elcin knetet das Hack. Sie knetet es lange. Sie knetet es gewissenhaft. Und sie knetet es mit einer Hand, sodass die andere frei ist zum Nachwürzen. »Hack muss man lange kneten. Die Deutschen kneten weniger, aber deutsche Frikadellen haben auch eine andere Konsistenz als Köfte, obwohl die gleichen Zutaten drin sind.« Elcin holt ein Glas mit Chilipulver. »Wie ist es mit scharf?« Wir nicken aufmunternd. Mit viel Scharf, gerne. Sie würzt, knetet alles noch eine Weile und wirft schließlich das Hack mit Schmackes in die Schüssel. »Scharf muss auch sein. Meine Mutter macht es jedenfalls immer so.«
Das Hack formt sie zu kleinen flachen Scheiben von etwa fünf Zentimetern Durchmesser. Die legt sie in eine Auflaufform, die umgehend in den Ofen expediert wird. »Ich finde Rezepte mit fünf bis acht Zutaten gut. Ich will nicht durch zehn verschiedene Läden laufen!« Elcin holt den Bulgur. »Das ist Weizen, den gibt es in verschiedenen Körnungen. Der hier ist relativ grob. In der Türkei kocht man oft Bulgur als Beilage.« Sie würfelt eine Zwiebel in der Hand und dünstet sie in etwas Butter mit scharfer grüner Peperoni und einer weiteren Zwiebel an.
Wir probieren von der Peperoni, um zu sehen, wie scharf sie ist, und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Schließlich einigen wir uns auf mittelscharf. Wir probieren von einer zweiten Peperoni. Wer die letzte scharf fand, findet diese mild und umgekehrt. Die Wege der Peperoni sind bisweilen unergründlich. Wir beschließen, dass ruhig beide ans Bulgur können. Elcin gibt noch eine gewürfelte Tomate dazu. »Ich schwitze auch etwas Tomatenmark mit an. Im Sommer würde ich das nicht machen, aber die Tomaten sind im Winter so lasch.« Nach einigen Minuten schüttet sie zwei Gläser Bulgur in den Topf und etwa doppelt so viel Wasser dazu. »Bulgur säuft mehr als Reis, da kann ruhig reichlich Wasser rein.«
Aus dem Kühlschrank holt sie einen Topf mit selbst gezüchtetem Joghurt. »So ist der Joghurt zwar nicht billiger, schmeckt aber besser. Als Müsli-Esser merkt man das.« Sie nimmt eine weitere Tomate. »Ich mache jetzt dazu einen klassischen Tomatensalat: Tomaten, Zwiebeln, Gurke, Petersilie.« Die Zwiebeln salzt sie kurz und wäscht sie unter fließendem Wasser ab. »Durch das Salz werden sie milder, weniger bitter. Das kennt ihr vielleicht von Auberginen.«
Die Köfte sind fertig, kurz darauf ist auch der Bulgur servierbereit. Jeder bekommt einen Teller mit Köfte und Bulgur, außerdem stehen auf dem Tisch für alle eine Schale mit Tomatensalat, angemacht mit Olivenöl und Salz, und eine Schale mit Joghurt. Die Köfte haben tatsächlich eine andere Konsistenz als deutsche Frikadellen: Sie sind fester und glatter, sehr saftig und fleischig. Der Bulgur ist eine überraschend milde Ergänzung, insbesondere angesichts der beiden recht scharfen Peperoni, mit denen er zubereitet wurde. »Manchmal sind die Peperoni nicht überall gleich scharf. Vielleicht waren sie insgesamt eher mild.«
Der Sonnenuntergang vor dem Westfenster wird dadurch sichtbar, dass der Himmel zu einem dunkleren Grau wechselt. Elcin macht uns noch einen Milchmokka: türkisches Mokkapulver in Milch und Zucker aufgekocht, statt in Wasser. So werden unsere Mägen munter, um die Berge von Köfte zu verarbeiten, die wir in uns hineingeschaufelt haben.
Fotos: Andrea Thode
aus Effilee #15, März/April 2011
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