Vandana Shiva: Saat des Zweifels

Vandana Shiva: Michael Specters Porträt der Aktivistin auf dem umstrittenen Kreuzzug gegen genmodifizierte Nutzpflanzen

Text: Michael Specter, The New Yorker

Anfang dieses Frühjahrs leitete die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva eine ungewöhnliche Pilgerreise durch Südeuropa. Sie begann in Griechenland mit dem internationalen Pan-Hellenischen Festival zum Austausch lokaler Saatgutvarianten, wo die Segnungen der traditionellen Landwirtschaft gefeiert wurden. Shiva und ihr Anhang überquerten anschließend die Adria und reisten mit dem Bus den italienischen Stiefel hinauf nach Florenz, wo sie beim Seed, Food and Earth Democracy Festival sprach. Nach einem kurzen Planungsmeeting in Genua zog die Karawane weiter nach Südfrankreich bis nach Le Mas d’Azil, rechtzeitig, um die Internationalen Tage des Saatguts zu feiern.
Shivas leidenschaftlicher Einsatz gegen Globalisierung und die Verwendung genetisch modifizierter Nutzpflanzen haben sie überall zur Heldin unter Anti-GMO-Aktivisten gemacht. Der Zweck ihrer Reise durch Europa war, so hatte sie mir einige Wochen vorher erklärt, Aufmerksamkeit zu schaffen für »die Stimmen derer, die wollen, dass ihre Landwirtschaft frei bleibt von Gift und genmodifizierten Organismen.« An jeder Station vermittelte sie eine Botschaft, die sie in mittlerweile drei Jahrzehnten feingeschliffen hat: Indem sie Saatgut verändern, patentieren und in teure Pakete geistigen Eigentums verwandeln, versuchen multinationale Unternehmen wie Monsanto mit beträchtlicher Unterstützung durch die Weltbank, die Welthandelsorganisation, die Regierung der Vereinigten Staaten und selbst gemeinnütziger Organisationen wie der Bill und Melinda Gates Stiftung, eine Nahrungsmitteldiktatur in der Welt zu errichten. Ihren Kampf gegen Biotechnologie in der Landwirtschaft beschreibt sie als einen weltweiten Krieg, in dem einige wenige gigantische Saatgutunternehmen den Milliarden von Bauern gegenüberstehen, deren Überleben von dem abhängt, was sie selbst anbauen. Shiva betont, dass nicht weniger als die Zukunft der Menschheit vom Ausgang abhängt.

Sie ruinieren diesen Planeten, sagte sie mir, Sie zerstören diese schöne Welt

»Es gibt zwei Trends«, erzählte sie der Menge, die sich zur Saatgutmesse auf der Piazza della Santissima Annunziata in Florenz versammelt hatte, »Zum einen: einen Trend zu Vielfalt, Demokratie, Fröhlichkeit, Kultur, zu Menschen, die ihr Leben feiern.« Sie machte eine Pause und der Platz war still. »Und der andere: Monokultur, Leblosigkeit. Alle deprimiert, alle auf Prozac. Mehr und mehr junge Menschen ohne Arbeit. Diese Welt des Todes wollen wir nicht!« Das Publikum, eine Mischung aus Leuten, die zur Veranstaltung gekommen waren und Touristen auf dem Weg zum Duomo, war gebannt. Shiva, in einem burgunderroten Sari und einem rostbraunen Halstuch sah hinreißend aus. »Es gäbe keinen Hunger in der Welt, wenn das Saatgut in der Hand der Bauern und Gärtner wäre und das Land in der Hand der Bauern«, sagte sie. »Das wollen sie uns wegnehmen.«
Shiva und ihre wachsende Schar von Unterstützern stehen auf dem Standpunkt, dass das herrschende Modell industrieller Landwirtschaft, abhängig von chemischen Düngern, Pestiziden, fossilen Treibstoffen und einem scheinbar endlosen Vorrat an billigem Wasser, die natürlichen Ressourcen in nicht zu akzeptierender Weise beansprucht. Sie setzt sich, wie es die meisten gebildeten Landwirte tun, für mehr Vielfalt bei den Nutzpflanzen ein, für schonenderen Umgang mit dem Boden und mehr Unterstützung für die Menschen, die das Land Tag für Tag bearbeiten. Besonders wenig hat sie für die Bauern übrig, die Monokulturen anpflanzen, riesige Felder mit einer einzigen Nutzpflanze. »Sie ruinieren diesen Planeten«, sagte sie mir, »sie zerstören diese schöne Welt.«
Die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln ist in der Tat in Gefahr. Die wachsende Bevölkerung zu ernähren ohne die Erde weiter zu zerstören, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, vielleicht aller Zeiten. Am Ende dieses Jahrhunderts könnte die Erde von gut zehn Milliarden Menschen bewohnt sein, das ist ungefähr so als käme zweimal Indien dazu. Um so viele Menschen zu ernähren, müssen die Bauern in den nächsten fünfundsiebzig Jahren mehr Nahrung produzieren als in der gesamten Geschichte der Menschheit zuvor. In den letzten zehntausend Jahren bedeutete mehr Menschen zu ernähren einfach, mehr Land zu bearbeiten. Diese Option besteht nicht mehr, nahezu jeder verfügbare Flecken Erde ist schon kultiviert und siebzig Prozent des Süßwasserverbrauchs entfällt auf die Bewässerung der Landwirtschaft.
Die gestiegenen Anforderungen an die Ernährung der schnell wachsenden Mittelschicht in den Entwicklungsländern – mehr Eiweiß aus Schweine- und Rindfleisch, Hühnern und Eiern – werden den Druck noch erhöhen, ebenso wie der Klimawandel, besonders in Ländern wie Indien und anderen, in denen die Bauern auf Monsunregenfälle angewiesen sind. Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass wir nicht erwarten können, diese Nachfrage ohne Hilfe fortschrittlicher Mittel der Pflanzengenetik zu befriedigen. Shiva ist anderer Meinung, ihr ist jeder Samen, der aus einem Labor kommt, ein Gräuel.
Ihr Kampf war nicht leicht. Wenige Technologien, nicht das Auto, nicht das Telefon, nicht einmal der Computer haben sich so schnell und so umfassend durchgesetzt wie die Produkte der landwirtschaftlichen Biotechnologie. Zwischen 1996, als die ersten gentechnisch veränderten Saaten ausgebracht wurden, und dem letzten Jahr hat sich die Fläche, auf der sie stehen verhundertfacht – von 1,7 Millionen Hektar auf einhundertsiebzig Millionen. Fast die Hälfte der weltweit geernteten Sojabohnen und ein Drittel des Mais sind Produkte der Biotechnologie. Baumwolle, die gentechnisch verändert wurde, um die verheerende Baumwollkapselraupe abzuwehren, beherrscht den Markt in Indien und fast überall, wo sie sonst eingeführt wurde.
Diese Zahlen beeindrucken Shiva nicht. Mit einundsechzig Jahren ist sie ständig unterwegs, in diesem Jahr ist sie nicht nur durch Europa gereist, sondern auch durch das südliche Asien, Afrika, Kanada und zweimal in die Vereinigten Staaten. Im vergangenen Vierteljahrhundert hat sie fast jedes Jahr ein Buch veröffentlicht, darunter The Violence of the Green Revolution, Monocultures of the Mind, Stolen Harvest und Water Wars. In jedem davon vertritt sie die These, dass die moderne Landwirtschaft wenig erreicht hat, außer die Erde auszuplündern.
Shiva genießt nirgends so viel Anerkennung wie im Westen, wo sie, wie Bill Moyers kürzlich feststellte, »ein Rockstar im weltweiten Kampf gegen genetisch verändertes Saatgut« wurde. Man nennt sie Gandhi des Getreides und vergleicht sie mit Mutter Teresa. Würde sie alle Preise, Würden und Auszeichnungen persönlich annehmen, die ihr angetragen wurden, hätte sie kaum Zeit für anderes. 1993 erhielt sie den Right Livelihood Award, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis, für ihren Einsatz für Ökologie und Frauenrechte. Time, der Guardian, Forbes und Asia Week führen sie auf Listen der wichtigsten Aktivisten der Welt. Shiva, die einen Doktortitel in Philosophie der Universität von Western Ontario trägt, wurde mit Ehrendoktorwürden von Universitäten in Paris, Oslo, Toronto und anderen ausgezeichnet. 2010 wurde ihr der Sydney Peace Price verliehen für ihren Einsatz für soziale Gerechtigkeit und ihren unermüdlichen Einsatz für die Armen. Anfang dieses Jahres ehrte das Beloit College in Wisconsin Shiva mit der Berufung auf den Weissberg Chair in International Studies und nannte sie in diesem Zusammenhang »eine Ein-Frau-Bewegung für Frieden, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit«.
»Der Gedanke, man könne geistiges Eigentum an Saatgut besitzen, ist für mich ein erbärmlicher und böser Versuch, eine Saatgutdiktatur zu errichten«, sagte Shiva vor ihren Zuhörern in Florenz. »Wir setzen uns dafür ein, dass diese Diktatur nie gedeiht.« Während sie sprach, stand ich unter den Freiwilligen, die Samen für alte Gemüsesorten verkauften und Informationen über ökologische Landwirtschaft verteilten. Die meisten waren italienische Studenten, die für den Tag aus Bologna oder Rom gekommen waren und die wenigsten konnten ihre Augen von ihr lassen. Ich fragte eine zwanzig Jahre alte Studentin namens Viktoria, ob sie Shivas Arbeit kannte. »Seit Jahren«, sagte sie. Dann fügte sie hinzu, in Anerkennung von Shivas unbestreitbarem Charisma: »Ich war gerade in einem Raum mit ihr. Ich folge ihr seit Jahren, aber du bist auf ihre körperliche Präsenz nicht vorbereitet.« Sie zögerte und warf einen Blick auf die Bühne, auf der Shiva sprach. »Ist sie nicht einfach magisch?«

Sechzig Millionen Menschen sind in Indien in den letzten vier Jahrhunderten verhungert

Mindestens sechzig Millionen Menschen sind in Indien in den letzten vier Jahrhunderten verhungert. Allein 1943, im letzten Jahr der Regentschaft des britischen Raj, starben mehr als zwei Millionen Menschen während der bengalischen Hungersnot. »Als wir frei von der Kolonialherrschaft waren, war das Land leergesaugt«, erzählte mir Suman Sahai kürzlich. Sahai, ein Genforscher und prominenter Umweltaktivist ist der Gründer der Gene Campaign mit Sitz in Delhi, die sich für die Rechte der Bauern einsetzt. »Die Briten haben das landwirtschaftliche System zerstört und nicht investiert. Sie brauchten Lebensmittel für ihre Armee und um sie ins Ausland zu verkaufen. Sonst hat sie nichts interessiert.« Mit der Unabhängigkeit kam 1947 Euphorie aber auch Verzweiflung. Tonnenweise wurde jedes Jahr Getreide aus den USA importiert, ohne das Hungersnöte unausweichlich gewesen wären.
Damit Unabhängigkeit mehr als nur ein Wort wäre, musste Indien sich auch selbst versorgen können. Die Grüne Revolution – eine Reihe von landwirtschaftlichen Innovationen, die zu verbesserten Weizensorten führten, machte das möglich. 1966 importierte Indien elf Millionen Tonnen Getreide. Heute produziert es mehr als zweihundert Millionen Tonnen, viel davon für den Export. Von 1950 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts stieg die Getreideproduktion auf der Welt von siebenhundert Millionen Tonnen auf 1,9 Milliarden, alles auf nahezu derselben Anbaufläche.
»Ohne den Stickstoffdünger, mit dem die Ernten wuchsen, von denen unsere nächsten Vorfahren sich ernährt haben, wären viele von uns heute vermutlich nicht da«, erzählte mir Raoul Adamchack. »Es wäre ein anderer Planet, kleiner, ärmer und viel bäuerlicher.« Adamchack betreibt eine ökologische Farm in Nordkalifornien und war Präsident des Verbandes California Certified Organic Farmers. Seine Frau, Pamela Ronald, ist Professorin für Pflanzengenetik an der University of California in Davis, und das Buch der beiden, Tomorrow’s Table, war eines der ersten, das zeigte, wie fortgeschrittene Technologien mit traditionellem Anbau zusammenwirken können, um bei der Ernährung der Weltbevölkerung zu helfen.
Es gibt noch eine andere Sicht der Grünen Revolution. Shiva glaubt, dass sie die traditionelle Lebensweise der Inder zerstört hat. »Bis in die Sechzigerjahre verfolgte Indien erfolgreich eine landwirtschaftliche Entwicklungspolitik, die auf der Stärkung der ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft und der Autarkie der Bauern basierte«, schreibt sie in The Violence of the Green Revolution. Sie erzählte mir, dass durch die Verschiebung des Fokus beim Anbau von der Vielfalt zu Ertrag die Grüne Revolution tatsächlich für das Sterben der indischen Bauern verantwortlich war. Nur wenige stimmen allerdings dieser Analyse zu, und mehr als nur eine Studie sind zu dem Schluss gekommen, dass Millionen verhungert wären, wenn Indien bei den traditionellen Anbaumethoden geblieben wäre.
Die Grüne Revolution beruhte in hohem Maß auf dem Einsatz von Dünger und Pestiziden, aber in den Sechzigerjahren kümmerte man sich wenig um die Auswirkungen auf die Umwelt. Abwässer verseuchten viele Flüsse und Seen, und einiges von Indiens bestem Anbauland wurde zerstört. »Am Anfang war die Grüne Revolution wundervoll«, erzählte mir Sahai. »Aber da wir nicht so viel Wasser haben, war das Ganze nicht tragfähig, und man hätte damit viel früher aufhören müssen, als man es getan hat.«
Um zehn Milliarden Menschen zu ernähren, von denen die meisten in den Entwicklungsländern leben werden, werden wir brauchen, was der indische Landwirtschaftspionier M.S. Swaminathan eine Immergrüne Revolution genannt hat, eine, die die fortgeschrittenste Wissenschaft mit einer klaren Ausrichtung auf die Erhaltung der Umwelt kombiniert. Bis vor Kurzem schienen das unterschiedliche Ziele zu sein. Seit Tausenden von Jahren haben Menschen genetisch kompatible Pflanzen miteinander gekreuzt und dann unter den Nachkommen diejenigen ausgesucht, die vermeintlich wünschenswerte Eigenschaften hatten (kräftige Wurzeln zum Beispiel, die weniger krankheitsanfällig sind). Bauern lernten, wie man bessere Pflanzen und Sorten bekam, aber es war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein Prozess von Versuch und Irrtum. Dann kam Gregor Mendel und zeigte, dass viele der Eigenschaften einer Erbsenpflanze von einer Generation zur nächsten nach vorhersehbaren Regeln weitergegeben wurden. Nahezu alle Pflanzen, die wir anbauen – Mais, Weizen, Reis, Rosen, Weihnachtsbäume – sind durch Zucht genetisch verändert worden, damit sie länger halten, besser aussehen, süßer schmecken oder in dürrer Erde besser gedeihen.

Eine Genkanone zu benutzen, scheint wie ein Verstoß gegen die Grundregeln des Lebens

Gentechnik hebt diesen Prozess auf die nächste Stufe. Indem sie Gene von einer Spezies auf eine andere übertragen, können Züchter heutzutage die Eigenschaften noch genauer auswählen. Bt Cotton zum Beispiel enthält Gene des Bakteriums Bacillus thuringiensis, das sich natürlich im Boden findet. Das Bakterium produziert ein Toxin, das den Baumwollkapselbohrer angreift, einen Schädling, der jedes Jahr Millionen von Hektar befällt. Fünfundzwanzig Prozent der Schädlingsbekämpfungsmittel auf der Welt wurden in der Regel für Baumwolle eingesetzt, und viele davon sind krebserregend. Indem sie einen Teil der DNS des Bakteriums in einen Baumwollsamen einfügten, haben Wissenschaftler es möglich gemacht, dass die Samenkapsel ihr eigenes Insektengift produziert. Kurz nachdem der Schädling die Pflanze anbeißt, stirbt er.
Die Molekularbiologie hat die Medizin, die Landwirtschaft und fast alle anderen wissenschaftlichen Fachbereiche verändert. Sie hat auch eine erbitterte Debatte über die Konsequenzen dieses Wissens ausgelöst. Genetisch modifizierte Produkte wurden häufig angepriesen als der beste Weg, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, höhere Ernten zu ermöglichen, mehr Nährstoffe in der Nahrung bereitzustellen und die Ärmsten der Welt zu ernähren. Die meisten transgenen Pflanzen, die heute auf dem Markt sind, wurden allerdings auf die Bedürfnisse der industriellen Landwirtschaft und ihrer Kunden im Westen zugeschnitten.
Shiva und andere Gegner der landwirtschaftlichen Biotechnologie argumentieren, dass die höheren Kosten patentierten Saatguts, das von Riesenunternehmen hergestellt wird, arme Bauern daran hindert, es auf ihren Feldern auszubringen. Und sie haben Sorge, dass Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen in die Wildnis treibt und die Ökologie der Pflanzen unwiderruflich verändert. Viele erheben jedoch noch einen viel grundsätzlicheren Einwand: Varianten zu kreuzen und auf einem Feld anzubauen ist eine Sache, aber eine Genkanone zu benutzen um ein Bakterium in Samen zu schießen, scheint wie ein Verstoß gegen die Grundregeln des Lebens.

Trenner

Vandana Shiva wurde in Dehradun geboren, am Fuß des Himalaya. Als Brahmanin wuchs sie im Wohlstand auf. Ihr Vater war Forstbeamter für die indische Regierung, ihre Mutter arbeitete als Schulinspektorin in Lahore und kehrte, als die Stadt bei der Teilung pakistanisch wurde, nach Indien zurück. Shiva trat einer Vereinigung von Frauen bei, die entschlossen waren, fremde Holzunternehmen daran zu hindern, Wälder im nordindischen Hochland zu fällen. Ihre Taktik war einfach und am Ende erfolgreich: Sie bildeten einen Kreis und umarmten die Bäume. Shiva war im Wortsinn eine der ersten Tree Hugger.
Als wir uns das erste Mal unterhielten, in New York, erklärte sie, warum sie Umweltaktivistin wurde. »Ich war mit der Quantentheorie beschäftigt, für meine Doktorarbeit, daher hatte ich keine Ahnung, was bei der Grünen Revolution vor sich ging«, sagte sie. Shiva hatte Physik studiert. Wir saßen in einem kleinen Café nahe der Vereinten Nationen, wo sie an einem Landwirtschaftsforum teilnehmen sollte. Sie war gerade aus dem Flugzeug aus Neu-Delhi gestiegen, aber ihre Energie wuchs, als sie ihre Geschichte erzählte. »In den späten Achtzigern ging ich auf eine Konferenz über Biotechnologie, über die Zukunft der Ernährung«, sagte sie. »Damals gab es keine genetisch modifizierten Organismen. Diese Leute sprachen davon, Gentechnik einzusetzen, damit sie Patente bekommen könnten.«
»Sie sagten die erstaunlichsten Dinge«, fuhr sie fort, »sie sagten, Europa und die USA wären als Markt zu klein. Wir müssen einen globalen Markt haben, und das ist es, warum wir Gesetze über geistiges Eigentum brauchen.« Das Treffen brachte sie auf eine neue Spur. »Ich erkannte, dass sie das Leben patentieren wollten, und das Leben ist keine Erfindung«, sagte sie. »Sie wollen genmodifizierte Organismen ohne Tests freisetzen und sie wollen diese Ordnung der gesamten Welt auferlegen.« Sie kehrte nach Indien zurück und gründete Navdanya, was auf Hindi neun Samen bedeutet. Laut Satzung wurde die Organisation gegründet, um »die Vielfalt und Integrität lebendiger Ressourcen zu schützen, vor allem einheimischer Samen und um ökologischen Landbau und fairen Handel zu fördern.« Unter Shivas Führung entwickelte sich Navdanya schnell zu einer für ganz Indien bedeutsamen Bewegung.
Anders als die meisten Agrarökologen hält Shiva an der Vorstellung fest, dass die Weltbevölkerung mit Bio-Anbau ernährt werden kann. Fast ausschließlich aufgrund der Anstrengungen von Shiva und anderen Aktivisten hat Indien nicht eine einzige genetisch modifizierte Nahrungspflanze für den menschlichen Verzehr freigegeben. In Afrika erlauben lediglich vier Nationen – Südafrika, Burkina Faso, Ägypten und Sudan – den kommerziellen Einsatz von Produkten, die genmodifizierte Organismen enthalten. Europa bleibt das Epizentrum des Widerstands gegen genmodifizierte Organismen, aber kürzlich haben Umfragen ergeben, dass die breite Mehrheit der Amerikaner, die sich immer mehr für den Zusammenhang zwischen Ernährung, Landwirtschaft und Gesundheit interessieren, dafür ist, Produkte, die mit genetisch veränderten Zutaten hergestellt werden, zu kennzeichnen. Die meisten sagen, sie würden die Kennzeichen nutzen, um zu vermeiden, solche Nahrungsmittel zu essen. Shiva für ihren Teil besteht darauf, dass der einzig akzeptable Weg wäre, zu den Grundsätzen und Praktiken einer vergangenen Zeit zurückzukehren. »Kunstdünger hätte nie in der Landwirtschaft erlaubt werden dürfen«, sagte sie 2011 in einer Rede. »Ich glaube, das ist eine Massenvernichtungswaffe. Ihr Einsatz ist wie Krieg, denn sie kommt aus dem Krieg.«

Mit ihren Tweets schafft Shiva es, die Bewegung zu kontrollieren und Abtrünnige zu ächten

Wie Gandhi, den sie verehrt, stellt Shiva viele Ziele der heutigen Zivilisation in Frage. Prince Charles, der eine Büste von Shiva in Highgrove, seinem Familiensitz, aufgestellt hat, stattete ihr letztes Jahr einen Besuch auf der Navdanya Farm ab, in Dehradun, etwa zweihundertvierzig Kilometer nördlich von Neu-Delhi. Charles, vielleicht der bekannteste Kritiker des modernen Lebens, prangert die transgenen Nutzpflanzen seit Jahren an. »Diese Art von genetischer Veränderung bringt die Menschheit in Bereiche, die Gott und nur Gott zustehen«, schrieb er in den Neunzigerjahren, als Monsanto versuchte, sein genetisch verändertes Saatgut in Europa zu verkaufen. Auch Shiva bringt Religion ins Spiel, wenn sie landwirtschaftliche Biotechnologie angreift: Das Kürzel GMO stehe für »God, Move Over«, sagte sie in einer Rede Anfang dieses Jahres: »Mach Platz Gott, wir sind jetzt die Schöpfer!« Navdanya veröffentlicht nicht, welche Spenden es erhält, aber aus einem aktuellen Bericht der indischen Regierung geht hervor, dass ausländische Nichtregierungsorganisationen in den letzten zehn Jahren erhebliche Beiträge geleistet haben, um die Kampagne gegen den Einsatz von genmodifizierten Organismen in Indien zu unterstützen. Im Juni sprach die Regierung ein Verbot solcher Spenden aus. Shiva, deren Name in dem Bericht erscheint, nannte das »einen Angriff auf die Zivilgesellschaft« und voreingenommen zugunsten ausländischer Unternehmen.
Shiva ist in den sozialen Medien zu Hause und ihre Tweets, heftig und dramatisch, verbreiten sich unter ihren Zehntausenden Followern schnell um die Erde. Mit ihnen schafft sie es, die Bewegung zu kontrollieren und Abtrünnige zu ächten. Der britische Umweltschützer Mark Lynas, zum Beispiel, setzte sich über zehn Jahre lang standhaft gegen den Einsatz von Biotechnologie in der Landwirtschaft ein. Letztes Jahr jedoch, nachdem er sich sorgfältig mit den wissenschaftlichen Daten, auf denen seine Annahmen basierten, auseinandergesetzt hatte, nahm er den entgegengesetzten Standpunkt ein. In einer Ansprache vor der jährlichen Oxford Farming Conference bezeichnete er seine frühere Ansicht, dass genetisch veränderte Nutzpflanzen die Abhängigkeit von Chemikalien erhöhten sowie die Umwelt und die menschliche Gesundheit bedrohten als »urbane, grüne Mythen«. »Freimütig und offiziell entschuldige ich mich dafür, dass ich mehrere Jahre damit zugebracht habe, genmodifizierte Nutzpflanzen herauszureißen«, sagte er. »Es tut mir auch leid, dass ich … daran mitgewirkt habe, eine wichtige technologische Option zu verteufeln, die zum Nutzen der Umwelt eingesetzt werden kann.« Heute betrachtet Lynas die Annahme, dass die Welt ausschließlich mit Bioprodukten ernährt werden könnte als »grob vereinfachenden Unfug«.
Mit dieser Rede und der öffentlichen Aufmerksamkeit, die sich daraus ergab, wurde Lynas der Benedict Arnold der Anti-GMO-Bewegung. »Wenn du willst, dass dein Name überall im Web zu sehen ist, gibt es nichts besseres, als einst feste Überzeugungen zu widerrufen«, schrieb Jason Mark, der Herausgeber des Earth Island Journal.
Keiner war vielleicht mehr erzürnt über Lynas’ Bekehrung als Shiva, die ihren Ärger auf Twitter zum Ausdruck brachte: »#MarkLynas saying farmers shd be free to grow #GMOs which can contaminate #organic farms is like saying #rapists shd have freedom to rape.« (Wenn Mark Lynas sagt, die Bauern sollten das Recht haben, GMOs anzupflanzen, die biologische Höfe kontaminieren könnten, ist das, als würde er sagen, Vergewaltiger sollten die Freiheit haben, zu vergewaltigen.) Die Nachricht sorgte für sofortige Empörung. »Schäm dich, wenn du GMOs mit Vergewaltigung vergleichst«, antwortete Karl Haro von Mogel, der Biology Fortified betreibt, eine Webseite, die sich mit Pflanzengenetik beschäftigt, ebenfalls in einem Tweet. »Das ist ein jämmerliches Argument, das Frauen, Männer und Kinder herabwürdigt.« Shiva tweetete sofort zurück: »Wir müssen von einem patriarchalischen, anthropozentrischen Weltbild zu einem kommen, das auf #EarthDemocracy basiert«, schrieb sie.
Shiva hat ein Gespür für zündende Analogien. Kürzlich verglich sie, was sie »Saatsklaverei« nennt, die von den Kräften der Globalisierung über die Welt gebracht wird, mit menschlicher Sklaverei. »Ich fing an, für die Freiheit des Saatguts zu kämpfen, weil ich eine Parallele sah«, sagte sie auf einer Nahrungskonferenz in den Niederlanden. »Damals waren es Schwarze, die in Afrika gefangen wurden und zur Arbeit auf den Baumwoll- und Zuckerrohrfeldern in Amerika verschleppt wurden. Heute wird alles Leben versklavt. Alles Leben. Alle Lebewesen.«
Shiva kann keine Gruppe tolerieren, die sich für Gentechnik in der Landwirtschaft einsetzt, egal, was die Organisation sonst tut oder wie qualifiziert ihre Unterstützer sind. Als ich erwähnte, dass Monsanto neben seiner Produktion genetisch veränderten Saatguts auch einer der weltweit größten Produzenten von konventionell gezüchteten Samen sei, lachte sie. »Das ist nur Public Relation«, sagte sie. Ähnlich wenig hält sie von der Bill und Melinda Gates Stiftung, die deutlich Stellung bezogen hat zugunsten der Biotechnologie. Erst kürzlich schrieb Shiva, dass die Milliarden Dollar, die die Stiftung für landwirtschaftliche Forschung und Unterstützung ausgegeben hat, die »größte Bedrohung für Bauern in den Entwicklungsländern« darstellt. Die wissenschaftlichen Organisationen in den USA, die für die Regulierung genetisch modifizierter Produkte zuständig sind, einschließlich der Food and Drug Administration (FDA), der Environmental Protection Agency (EPA) und des United States Department of Agriculture, sind für sie lediglich Werkzeuge der internationalen Saatgutkonglomerate.
Ihr Absolutismus in Sachen GMOs führt Shiva gelegentlich auf seltsame Wege. 1999 starben zehntausend Menschen und Millionen wurden obdachlos, als ein Wirbelsturm den indischen Bundesstaat Orissa an der Ostküste traf. Als die Regierung der Vereinigten Staaten Soja und Getreide lieferte, um den verzweifelten Opfern zu helfen, hielt Shiva eine Pressekonferenz in Neu-Delhi ab und sagte, dass die Spende beweise, dass »die Vereinigten Staaten die Opfer in Orissa als Versuchskaninchen benutzen« für genetisch veränderte Produkte. Sie schrieb auch an die internationale Hilfsorganisation Oxfam, um mitzuteilen, dass sie hoffe, dass diese nicht plane, genetisch veränderte Lebensmittel an die hungernden Überlebenden zu liefen. Nachdem weder die Vereinigten Staaten noch Oxfam ihre Pläne änderten, verurteilte sie die indische Regierung dafür, dass sie die Hilfen angenommen hatte.

Ich fragte, ob sie je als Physikerin gearbeitet habe. Die Antwort: Ich solle danach googeln

Am 29. März begann Shiva eine Ansprache vor einer örtlichen Gruppe von Ernährungsrechteaktivisten in Winnipeg mit der Enthüllung von beunruhigenden neuen Informationen über die Auswirkung landwirtschaftlicher Biotechnologie auf die menschliche Gesundheit. »Die Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention haben festgestellt, dass innerhalb von zwei Jahren die Zahl für Autismus von einem in achtundachtzig Fällen auf einen in achtundsechzig angestiegen ist«, sagte sie und bezog sich auf einen Artikel in USA Today. »Dann gehen sie hin und sagen, das ist ein Trend, an dem man sieht, dass etwas falsch läuft, und ob es etwas in der Umwelt ist, das den Anstieg verursacht, bleibt die Millionen-Dollar-Frage.«
»Die Frage ist jetzt beantwortet«, fuhr Shiva fort. Sie erwähnte Glyphosat, das Herbizid von Monsanto, das normalerweise bei modifizierten Pflanzen zum Einsatz kommt. »Wenn man sich die Kurven ansieht, wie der Einsatz von GMOs zunimmt, wie die Anwendung von Glyphosat zunimmt und wie Autismus zunimmt, das korrespondiert wirklich eins zu eins miteinander. Und diese Grafik könnte man so für Nierenversagen machen, für Diabetes, man könnte die Grafik sogar für Alzheimer machen.«
Hunderte Millionen Menschen in achtundzwanzig Ländern essen täglich transgene Produkte und wenn nur eine von Shivas Schlussfolgerungen wahr wäre, wären die Folgen katastrophal. Aber es wurde noch kein Zusammenhang zwischen Glyphosat und den Krankheiten, die Shiva erwähnte, festgestellt. Ihre Behauptungen basierten auf einer einzigen Forschungsarbeit, die im letzten Jahr veröffentlicht wurde, in einer Zeitschrift namens Entropy, die von den Wissenschaftlern Geld nimmt, damit sie ihre Erkenntnisse publiziert. In der Arbeit ist keine neue Forschung enthalten. Shiva ist ein gefährlicher, aber häufiger Fehler unterlaufen: Sie hat eine Korrelation mit einer Ursächlichkeit verwechselt. (Es stellt sich zum Beispiel auch heraus, dass der Anstieg der Verkäufe von Bioprodukten fast exakt dem Anstieg von Autismus entspricht. Und wenn wir schon dabei sind, das trifft auch für die Verkäufe von HD-Fernsehern zu und für die Zahl der Amerikaner, die jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.)
Shiva erwähnt ihre wissenschaftliche Ausbildung bei fast jedem Auftritt, dennoch bricht sie häufig mit den Konventionen der wissenschaftlichen Forschung. In Interviews und im Fernsehen wird sie gewöhnlich als Kernphysikerin, als Quantenphysikerin oder als weltbekannte Physikerin bezeichnet. Die meisten Klappentexte ihrer Bücher enthalten die folgende biografische Notiz: »Bevor sie Aktivistin wurde, war Vandana Shiva eine von Indiens führenden Physikerinnen.« Als ich fragte, ob sie je als Physikerin gearbeitet habe, schlug sie vor, ich solle bei Google nach der Antwort suchen. Ich fand nichts und sie selbst erwähnt in ihrem Lebenslauf keine solche Position.
Shiva argumentiert, dass es einen Anstieg bei der Verwendung von Herbiziden gab, weil viele Sorten Mais, Soja und Raps so verändert wurden, dass sie Glyphosat widerstehen. Das ist sicherlich wahr, und in ausreichend hohen Dosen ist Glyphosat toxisch, so wie andere Herbizide. Dazu kommt, dass Unkraut resistent wird, wenn Bauern sich zu sehr auf ein Mittel verlassen, egal, ob es natürlich ist oder aus der Fabrik kommt. In einigen Gegenden ist das mit Glyphosat schon geschehen und die Folgen können katastrophal sein. Aber den Bauern stellt sich die Frage, ob sie gentechnisch modifizierte Pflanzen einsetzen oder nicht. Und unzählige Arten von Unkraut haben zum Beispiel gegen das Herbizid Atrazin Resistenzen ausgebildet, obwohl keine Nutzpflanzen gentechnisch dagegen unempfindlich gemacht wurden. Tatsächlich wurde Glyphosat zum weltweit populärsten Herbizid vor allem, weil es weit weniger giftig ist als jene, die es in der Regel ersetzt. Die Umweltbehörde EPA deklariert Wasser als nicht trinkbar, wenn es drei Teile Atrazin pro Milliarde Wasserteile enthält, der vergleichbare Grenzwert für Glyphosat liegt bei siebenhundert Teilen pro Milliarde. Legt man diesen Maßstab an, ist Glyphosat zweihundertdreißigmal weniger giftig als Atrazin.
Seit Jahren fürchten sich Menschen davor, dass sie durch den Verzehr von genmodifiziertem Essen krank werden könnten und Shivas Ansprachen sind voll von beängstigenden Anekdoten, die mit dieser Furcht spielen. Aber seit 1996, als die ersten Pflanzen ausgebracht wurden, haben Menschen Billionen von Mahlzeiten gegessen, die genetisch veränderte Zutaten enthalten und sich in Tausende Tonnen von Tuch gehüllt, das aus genetisch modifizierter Baumwolle gewebt wurde. Dennoch gibt es nicht einen einzigen dokumentierten Fall einer Person, die als Folge davon erkrankt wäre. Das ist ein Grund, warum die National Academy of Sciences, die American Association for the Advancement of Science, die Weltgesundheitsorganisation, die Royal Society in Großbritannien, die Französische Akademie der Wissenschaften, die Europäische Kommission und Dutzende anderer wissenschaftlicher Organisationen den Schluss gezogen haben, dass Lebensmittel, die von genetisch modifizierten Nutzpflanzen stammen, ebenso sicher sind wie alle anderen.
»Ich finde es absolut bemerkenswert, wie Vandana Shiva damit durchkommt, dass sie sagt, was immer die Leute gerade hören wollen«, sagte Gordon Conway mir kürzlich. Conway ist der ehemalige Präsident der Rockefeller Foundation und Professor am Imperial College in London. Sein Buch One Billion Hungry: Can We Feed the World? wurde zu einer unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich mit Armut, Landwirtschaft und Entwicklung auseinandersetzen. »Vor allem im Westen wird Shiva vergöttert, weil sie für das romantische Bild des Bauernhofs steht«, sagte Conway. »Wen interessiert die Wahrheit? Die Menschen in den reichen Ländern verklären gern eine Vergangenheit, die sie zu ihrem Glück nicht selbst erleben mussten – Sie wissen schon, ein paar Hühner die mit den Kindern über den Hof laufen. Aber Landwirtschaft ist verdammt hart, wie jeder weiß, der sie betreibt. Das ist wie diese Leute, die von den Dörfern in den Entwicklungsländern schwärmen. Keiner, der in einem gelebt hat, würde das tun.«

Trenner

Ich kam am Ende des Frühjahrs in Maharashtra an, als der größte Teil der Baumwollernte des Jahres eingebracht war. Ich fuhr ostwärts von Aurangabad auf abgenutzten Straßen, wo die Widersprüche des modernen Indien überall sichtbar waren: hellgrüne Pyramiden von Süßlimetten, hölzerner Plunder, Schmuckhändler, Handyverkäufer und aufwendig verzierte Trinkwassertankwagen. Hinter den Ständen befanden sich riesige neu gebaute Häuser, die alle zu sicher eingezäunten Wohnanlagen gehörten. Die örtlichen Energieversorgungsunternehmen bezahlen zwei Rupien (etwa drei Cent) für ein Kilogramm abgeernteter Baumwollstängel, und als ich vorbeifuhr, waren die Felder voll mit Frauen, die sie aus der Erde zogen.
Indien verbietet zwar den Anbau genetisch veränderter Nahrungspflanzen, aber Bt Cotton, das verändert wurde, um dem Baumwollkapselbohrer zu widerstehen, wird in großen Mengen angebaut.
Seit den Neunzigerjahren lenkt Shiva die Aufmerksamkeit der Welt auf Maharashtra; sie nennt die Region den »Selbstmordgürtel« Indiens und sagt, dass die Einführung der genmodifizierten Baumwolle zu einem »Genozid« geführt habe. Es gibt keinen Ort, an dem noch verbissener über den Wert, die ökologischen Begleiterscheinungen und die wirtschaftlichen Auswirkungen genmodifizierter Pflanzen gestritten wird. Shiva sagt, zweihundertvierundachtzigtausend Bauern hätten sich getötet, weil sie es sich nicht leisten könnten, Bt Cotton anzupflanzen. Anfang dieses Jahres sagte sie: »Bauern sterben, weil Monsanto Profite macht – durch das Eigentum an Leben, das es nie geschaffen hat, aber behauptet zu schaffen. Deshalb müssen wir das Saatgut zurückfordern. Deshalb müssen wir GMOs loswerden. Deshalb müssen wir damit aufhören, Leben zu patentieren.«
Als ich Shiva für etwa eine Stunde in New York traf, sagte ich ihr, dass ich oft wohlwollend über landwirtschaftliche Biotechnologie geschrieben hatte. Sie schien das zu wissen, und sagte, ich könne das Ausmaß der Katastrophe nur verstehen, wenn ich die Region persönlich bereiste. Sie schlug mir auch vor, mich der Saatgutkarawane durch Europa anzuschließen und anschließend mit ihr zur Navdanya Farm zu reisen. Wir tauschten einige logistische SMS und E-Mails aus, aber als ich nach Italien kam, hatte Shiva bereits aufgehört, mir zu schreiben oder meine Nachrichten zu beantworten. In Florenz sprach sie kurz mit mir, als sie auf dem Weg zu einem Meeting war, und sagte, ich könne versuchen, sie in Neu-Delhi zu treffen, aber sie würde vermutlich keine Zeit für mich haben. Als ich in Indien ankam, sagte mir eine ihrer Assistentinnen, dass ich meine Fragen schriftlich einreichen solle. Das tat ich, aber Shiva lehnte es ab, sie zu beantworten.
Shiva macht geltend, dass die modifizierten Samen fast ausschließlich zum Nutzen großer industrieller Farmen entwickelt wurden und das trifft zu einem gewissen Teil durchaus zu. Aber Bt Cotton wird von Millionen Menschen in den Entwicklungsländern angebaut, von denen viele Parzellen bearbeiten, die kaum größer sind als der Hinterhof eines Hauses in einem amerikanischen Vorort. In Indien wird die Technologie von mehr als sieben Millionen Bauern eingesetzt, die 10,5 Millionen Hektar bewirtschaften. Das sind fast neunzig Prozent aller indischen Baumwollfelder. Anfangs waren die Samen sehr teuer. Betrüger überfluteten den Markt mit Fälschungen und verkauften sie, zusammen mit gefälschtem Glyphosat zu geringeren Preisen. Shiva sagte letztes Jahr, dass die Kosten für Bt-Cotton-Samen in Indien seit 2002 um achttausend Prozent gestiegen seien.
Tatsächlich sind die Preise für das modifizierte Saatgut, die von der Regierung reguliert werden, stetig gefallen. Sie sind zwar höher als die von konventionellem Saatgut, aber in den meisten Fällen liefern die modifizierten Samen höheren Nutzen. Nach Angaben des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (IFPRI) geben Bauern für Bt mindestens fünfzehn Prozent mehr für die Pflanzen aus, aber ihre Kosten für Pestizide sind mehr als fünfzig Prozent niedriger. Seit das Saatgut eingeführt wurde, sind die Erträge um mehr als einhundertfünfzig Prozent gestiegen. Nur China pflanzt und verkauft mehr Baumwolle.
Shiva sagt auch, die Patente von Monsanto hinderten die Armen daran, ihr Saatgut aufzubewahren. In Indien ist das nicht der Fall. Das Gesetz für die Rechte der Bauern von 2001 garantiert jedem das Recht, sein Saatgut »aufzubewahren, zu verwenden, zu säen, erneut zu säen, zu tauschen, zu teilen oder zu verkaufen«. Allerdings entscheiden sich die meisten Bauern, auch jene mit winzigen Feldern, jedes Jahr neue Samen – ob genetisch modifiziert oder nicht – zu kaufen, weil sie bessere Erträge und höheren Verdienst gewährleisten.
Ich habe etwa ein Dutzend Bauern in Dhoksal besucht, einem Dorf, in dem es wenig mehr gibt als einen Hindutempel und einige Saatgutgeschäfte. Dhoksal liegt etwa fünfhundert Kilometer nordöstlich von Mumbai, aber es scheint zu einem anderen Jahrhundert zu gehören.

Shiva behauptet, die genmodifizierte Baumwolle hätte zu einem Genozid geführt

Es ist staubig und müde und mittags steigt die Temperatur auf vierzig Grad. Den Weg zum Markt legen die meisten Bauern mit dem Ochsenkarren zurück. Manche gehen zu Fuß, wenige fahren. Eine Woche vorher, so erzählte mir ein örtlicher Landwirtschaftsinspekteur, habe er einen Baumwollfarmer auf einem Elefanten gesehen und ihm zugewunken. Der Mann antwortete allerdings nicht, weil er zu sehr damit beschäftigt war, mit seinem Handy zu telefonieren.
Im Westen geht es beim Streit um den Wert von Bt Cotton um zwei eng miteinander verbundene Themen: die finanziellen Auswirkungen, die der Einsatz der Samen hat, und ob die Kosten Bauern zum Selbstmord getrieben haben. Das Erste, worüber die Baumwollfarmer, die ich besuchte, sprechen wollten, war jedoch, dass sich ihre Gesundheit und die ihrer Familien verbessert hätte. Bevor Bt-Gene in Baumwolle eingebracht wurden, sprühten sie ihre Felder während der Anbauzeit Dutzende Male. Jetzt sprühen sie einmal im Monat. Bt ist für Menschen und andere Säugetiere nicht giftig. Biobauern, deren strenge Regeln den Einsatz von Kunstdünger und Chemikalien verbieten, haben das Toxin auf ihren Feldern seit Jahren versprüht.
Jeder konnte eine Geschichte über Insektizidvergiftungen erzählen. »Bevor Bt Cotton kam, verwendeten wir die anderen Samen«, erzählte mir Rameshwar Mamdev, als ich ihn auf seiner zweieinhalb Hektar großen Farm besuchte, die nicht weit von dem Feldweg lag, der zu dem Dorf führte. Er pflanzt außer Baumwolle auch Mais. »Meine Frau sprühte«, sagte er. »Ihr wurde übel. Uns allen wurde übel.« Nach einer vor Kurzem veröffentlichten Studie des Flämischen Instituts für Biotechnologie (VIB) sank der Einsatz von Pestiziden seit der Einführung von Bt Cotton auf ein Siebtel. Die Zahl der Pestizidvergiftungen sank um nahezu neunzig Prozent. Ähnliche Verringerungen gab es auch in China. Die Bauern, vor allem die Frauen, konnten durch den verringerten Kontakt mit Pestiziden nicht nur die Gefahr ernster Krankheiten verringern, sondern können auch mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.
»Wie kommen reiche Leute dazu, uns zu erzählen, dass wir Pflanzen anbauen sollen, die unsere Farmen ruinieren würden?«, fragte Narhari Pawar. Pawar ist siebenundvierzig, seine Haut hat die Farbe gebrannter Melasse und die Textur eines lang gebrauchten Sattels. »Bt Cotton ist der einzige Lichtblick für uns Bauern«, sagte er, »es hat unser Leben verändert. Ohne es hätten wir keine Ernte. Nichts.«
Genetisch veränderte Pflanzen sind nicht ohne Risiken. Eine Sorge ist, dass ihr Pollen in die Umgebung weht. Pollen verbreitet sich tatsächlich, aber es geschieht nicht so leicht; damit neue Samen entstehen, bedarf es einer sexuell kompatiblen Pflanze. Die Bauern können das Risiko der Ansteckung verringern, indem sie versetzte Pflanzzeiten planen, was sicherstellt, dass die Pollen verschiedener Pflanzenarten zu verschiedenen Zeiten fliegen.
Es gibt ein größeres Problem: Schädlinge können Resistenzen gegen die Toxine in modifizierten Pflanzen entwickeln. Der Kapselbohrer ist nicht der einzige Feind von Bt Cotton, die Pflanze hat viele andere Schädlinge zum Feind. In den Vereinigten Staaten müssen Bauern, die Bt Cotton anbauen, eine sogenannte Zufluchtsstrategie anwenden: Sie umgeben die Bt-Pflanzungen mit einer Art Burggraben mit Pflanzen, die keine Bt-Toxine produzieren. Das zwingt Schädlinge, die eine Resistenz gegen Bt Cotton entwickeln, sich mit Artgenossen zu paaren, die das nicht tun. In den meisten Fällen sind deren Nachkommen immer noch anfällig. Natürliche Auslese züchtet Resistenzen, solche Taktiken zögern den Prozess lediglich hinaus. Aber das gilt überall in der Natur, nicht nur in der Landwirtschaft. Für Therapien für Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder HIV werden Medikamentencocktails eingesetzt, weil die Infektion schnell gegen einen einzelnen Wirkstoff resistent würde. Dennoch hatte kein einziger der Bauern, mit denen ich in Dhoksal gesprochen hatte, so eine Zuflucht angepflanzt. Als ich fragte, warum, wussten sie nicht, wovon ich sprach.

Natürliche Auslese züchtet Resistenzen. Das gilt nicht nur in der Landwirtschaft

Verantwortungsbewusste Zeitungen und angesehene Autoren haben – häufig in Anlehnung an Shivas Formulierungen – über die Saatgut-Selbstmord-Verbindung geschrieben, als ob es sich um eine belegte Tatsache handele. 2011 brachte der amerikanischer Filmemacher Micha Peled Bitter Seeds heraus, in dem die These aufgestellt wird, dass Monsanto und sein Saatgut für die Selbstmorde von Tausenden von Bauern verantwortlich seien. Der Film wurde von Ernährungsaktivisten in den Vereinigten Staaten warm empfohlen. »Filme wie dieser können die Welt verändern«, sagte die prominente Köchin Alice Waters, als sie ihn gesehen hatte. Der Journalist Keith Kloor wies Anfang dieses Jahres in der Zeitschrift Issues in Science and Technology darauf hin, dass die Geschichte von den Bauernselbstmorden sogar den Weg in die wissenschaftliche Gemeinschaft gefunden hat. Letzten Oktober, bei einer öffentlichen Diskussion zum Thema Nahrungsmittelsicherheit, stellte der Stanford-Biologe Paul Ehrlich fest, dass »Monsanto die meisten dieser Bauern in Indien getötet hat.« Ehrlich wurde auch berühmt durch seine Voraussage aus den Sechzigerjahren, dass eine Hungersnot über Indien hereinbrechen und innerhalb einer Dekade »Hunderte von Millionen Menschen verhungern« würden. Damit lag er nicht nur einfach falsch, die Weizenproduktion in Indien verdoppelte sich sogar zwischen 1965 und 1972.
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass einhundertsiebzigtausend Inder jedes Jahr Selbstmord begehen – etwa fünfhundert am Tag. Obwohl sich viele indische Bauern umbringen, ist die Selbstmordrate in den letzten zehn Jahren laut einer Studie von Ian Plewis von der Universität Manchester nicht angestiegen. Tatsächlich ist die Selbstmordrate unter indischen Bauern geringer als die der anderen Inder und vergleichbar mit der französischer Bauern. Plewis stellte fest, dass »das Muster der Veränderung in der Selbstmordrate in den letzten fünfzehn Jahren für einen vorteilhaften Effekt von Bt Cotton für Indien als Ganzem spricht, wenn auch vielleicht nicht für jeden einzelnen Bundesstaat, in dem Baumwolle angebaut wird.«
Dennoch schien es, als kannten die meisten Bauern, die ich in Maharashtra trat, mindestens eine Person, die sich das Leben genommen hatte, und alle waren sich einig über die Gründe: Es gibt kaum bezahlbare Kredite, keine soziale Absicherung und keine brauchbaren Programme zur Versicherung der Ernten. Die einzigen Bauern in den Vereinigten Staaten, die keine Ernteversicherung haben, sind die, die aus philosophischen Gründen jegliche staatliche Unterstützung ablehnen. In Indien steht man bei einer Missernte ganz allein da. Alle Bauern benötigen Kredite, aber die Banken geben sie ihnen nur selten. »Wir wollen unsere Kinder zur Schule schicken«, sagte mir Pawar. »Wir wollen besser leben, wir wollen Ausrüstung kaufen. Aber wenn die Ernte ausbleibt, können wir nicht zahlen.« In den meisten Fällen gibt es keine andere Wahl, als sich an Geldverleiher zu wenden, und in Dörfern wie Dhoksal sind das oft die gleichen, die auch das Saatgut verkaufen. Der jährliche Zinssatz auf Darlehen kann auf bis zu vierzig Prozent ansteigen, was sich wohl nirgendwo ein Bauer leisten könnte. »Ich bin ganz und gar uneins mit meinen Kollegen, die meinen, dass diese Selbstmorde mit Bt Cotton zu tun haben«, sagte mir Suman Sahai, als ich mit ihr in Delhi sprach. Sahai ist keine ideologische Gegnerin des Einsatzes genetisch veränderter Nutzpflanzen, aber sie glaubt, dass die indische Regierung sie schlecht reguliert. Dennoch, sagt sie, sei das Gerede von den Bt-Selbstmorden übertrieben. »Wenn man morgen die Erlaubnis zurückzöge, Bt Cotton anzubauen, würde das die Selbstmorde auf den Bauernhöfen stoppen?«, sagte sie. »Es würde nicht viel Unterschied machen. Studien haben gezeigt, dass unzumutbare Kredite und der Mangel an finanzieller Unterstützung für die Landwirtschaft die Ursache sind. Das ist wirklich kein Geheimnis.«

Der jährliche Zinssatz auf Darlehen der Bauern kann auf bis zu vierzig Prozent ansteigen

Es wäre vermessen, verallgemeinernde Schlüsse über die komplexen finanziellen Umstände von Indiens zweihundertsechzig Millionen Bauern zu ziehen, nachdem man ein Dutzend von ihnen getroffen hat. Aber ich habe nichts gesehen oder gehört, das Vandana Shivas Theorie stützen könnte, dass Bt Cotton eine »Epidemie von Selbstmorden« ausgelöst hätte. »Wenn man jemand einen Lügner nennt, unterstellt das, dass die Person weiß, dass sie lügt«, erzählte mir Mark Lynas kürzlich am Telefon. »Ich glaube nicht, dass Vandana Shiva das unbedingt weiß. Aber ihre Ideologie und ihre politischen Überzeugungen machen sie blind. Deshalb ist sie so effizient und so gefährlich.« Lynas berät zur Zeit die Regierung von Bangladesch bei ihren Versuchen mit Bt Brinjal (Auberginen), einer Nutzpflanze, die, obwohl sie mehrfach von Fachleuten freigegeben wurde, vom Umweltminister in Indien abgelehnt wurde. Brinjal ist die erste genmodifizierte Nahrungspflanze in Südasien. Shiva schrieb vor Kurzem, dass das Projekt in Bangladesch nicht nur scheitern würde, es würde auch die Bauern umbringen, die daran teilnähmen.
»Sie ist sehr geschickt darin, wie sie ihre Kräfte einsetzt«, sagte Lynas. »Aber auf einer grundsätzlichen Ebene ist sie eine Demagogin, die die universellen Werte der Aufklärung ablehnt.«

Trenner

Man kann schon lange nicht mehr über genetisch veränderte Nutzpflanzen sprechen, ohne über Monsanto zu sprechen, einem Unternehmen, das so umfassend verhasst ist, dass kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendwo auf der Welt gegen seine Macht und seine Produkte protestiert wird. Shiva hat wiederholt gesagt, dass dem Unternehmen der Prozess gemacht werden müsste wegen »Ökozid und Genozid«. Als ich Monsantos Vorstandsvorsitzenden Hugh Grant fragte, wie er mit solchen Vorwürfen umgehe, sah er mich an und schüttelte langsam den Kopf. »Wir sind ein Unternehmen, das auf Wissenschaft basiert«, sagte er, »ich bin sehr fest davon überzeugt, dass man ein wissenschaftliches Fundament braucht, sonst kommt man aus der Spur.«
Es war ein ungewöhnlich heißer Tag in St. Louis, wo sich die Zentrale von Monsanto befinde. Grant trug kein Jackett und seine Hemdsärmel waren zur Hälfte aufgerollt. »Offensichtlich bin ich ein optimistischer Schotte«, sagte er mit einem Akzent, der von vielen Jahren in den Vereinigten Staaten gemildert worden war. »Sonst würde ich meinen Lebensunterhalt anders verdienen.« Grant betont oft die Notwendigkeit, Nutzpflanzen zu entwickeln, die weniger Wasser benötigen, und unterstreicht seit Jahren, dass GMOs allein die Welt nie ernähren könnten.
Dennoch ist Monsanto den Markt für transgene Nutzpflanzen mit einem Eifer angegangen, der gelegentlich selbst den Befürwortern der zugrundeliegenden Wissenschaft Sorge bereitet. »Als die Technologie der genetischen Modifikation in den Kinderschuhen steckte, hatten viele Menschen Bedenken«, sagte Anne Glover, die führende Beraterin des Präsidenten der Europäischen Kommission kürzlich. Glover hält es für unethisch, genmodifizierte Nutzpflanzen zu ignorieren, wo andere Ansätze gescheitert sind. »Die Menschen haben immer noch Sorgen wegen genmodifizierter Pflanzen«, sagte sie. »Die meisten von ihnen sind unsicher, nicht wegen der Technologie, sondern wegen der Geschäftspraktiken im Agrifood-Sektor, der von multinationalen Unternehmen dominiert wird.« Sie sagte, dass diese Unternehmen die Kommunikation mit ihren Kunden deutlich verbessern müssten.
Grant stimmt ihr in diesem Punkt zu. »Jahrelang hätten wir uns als Biotech-Unternehmen bezeichnet«, sagte er. »Wir sind so weit unten in der Nahrungskette … wir dachten immer, dass wir von dem, was im Regal landet abgekoppelt wären. Und wir sind es nicht.« Er stellte fest, dass in den letzten fünfzig Jahren die Verbindung zwischen den amerikanischen Bauern und ihren Kunden immer angespannter wurde, das aber jetzt anfing, sich zu ändern. »Die Menschen mögen uns hassen«, sagte er, »aber mittlerweile sprechen wir alle über dieselben Themen. Und das ist eine Veränderung, die ich begrüße. Ernährung und Landwirtschaft sind endlich Gesprächsthema.« Grant erzählte, dass er 2002 eine Studie in Auftrag gegeben hatte, die sich mit dem Gedanken auseinandersetzen sollte, den Namen des Unternehmens zu ändern. »Es hätte fünfundzwanzig Millionen Dollar gekostet«, sagte er. »Damals sah das nach Geldverschwendung aus.« Er machte eine kleine Pause. »Ich hatte die Entscheidung und beging einen großen Fehler.«
Die allumfassende Besessenheit mit Monsanto hat eine vernünftige Diskussion von Risiko und Nutzen genetisch modifizierter Produkte schwierig gemacht. Es gibt viele akademische Wissenschaftler, die nicht für Monsanto oder andere große Unternehmen arbeiten und sich mühen, Nutzpflanzen zu entwickeln, die zusätzliche Nährstoffe enthalten, und solche, die Dürre, Überschwemmungen oder Bodenversalzung standhalten. Merkmale, die von den ärmsten Bauern der Welt dringend benötigt werden. Goldener Reis – angereichert mit Vitamin A – ist das bekannteste Beispiel. Mehr als einhundertneunzig Millionen Kinder unter fünf Jahren leiden unter Vitamin-A-Mangel. Jedes Jahr erblinden bis zu einer halben Million von ihnen. Reispflanzen produzieren Beta-Carotin, die Vorstufe von Vitamin A, in den Blättern, aber nicht in den Körnern. Um Goldenen Reis herzustellen, haben die Wissenschaftler entsprechende Gene auch in die essbaren Teile der Pflanze gesteckt.

Goldener Reis wäre ein Teil der Lösung des Problems Mangelernährung

Es wurde nie behauptet, Goldener Reis könne mehr sein als ein kleiner Teil der Lösung des Problems der Mangelernährung und die geistigen Eigentumsrechte liegen seit Langem beim gemeinnützigen International Rice Research Institute, das Forschern die Rechte kostenlos verfügbar macht. Dennoch ist der Reis nach mehr als zehn Jahren des Widerstands überall verboten. Zwei Ökonomen, einer von Berkeley und einer aus München, haben vor Kurzem die Folgen des Banns betrachtet. In ihrer Studie The Economic Power of the Golden Rice Opposition rechneten sie aus, dass keinen Goldenen Reis zu haben in den letzten zehn Jahren den Verlust von 1 424 680 Lebensjahren allein in Indien verursacht hat. (Anfang dieses Jahres wurden einige der weltweit ersten Testpflanzungen auf den Philippinen von Vandalen zerstört.)
Der Bedarf an widerstandsfähigeren Nutzpflanzen war noch nie so groß. »In Afrika sind die Schädlinge und Pflanzenkrankheiten der Landwirtschaft so verheerend wie menschliche Krankheiten«, erzählte mir Gordon Conway, der zum Vorstand der African Agricultural Technology Foundation gehört. Er fügte hinzu, dass die Auswirkungen von Krankheiten wie die Pilzerkrankung Schwarze Blattmasern (Black Sigatoka), das parasitäre Unkraut Striga oder die neu identifizierte Viruserkrankung Maize Lethal Necrosis, die alle die wichtigsten afrikanischen Nutzpflanzen angreifen, »in vielen Fällen mindestens so tödlich sind wie HIV und TB«. Jahrelang hat in Tansania eine Braunstreifenvirus genannte Krankheit den Maniok angegriffen, eine wesentliche Quelle für Kohlenhydrate in der Region. Forscher haben eine virusresistente Version des stärkehaltigen Wurzelgemüses entwickelt, die jetzt in Feldversuchen getestet wird. Aber wieder war der Widerstand, teils von Shiva angeleitet, heftig.
Mais ist die am häufigsten angebaute Grundnahrungspflanze in Afrika, aber er ist sehr empfindlich gegen Trockenheit. Forscher arbeiten an einer Sorte, die Striga und dem in Afrika endemischen Maisstrichelvirus widersteht, es gab vielversprechende Fortschritte bei Augenbohnen, die gegen Insekten unempfindlich sind, und bei mit Nährstoffen angereicherter Hirse. Andere Wissenschaftler arbeiten an Pflanzen, die den Bedarf an Stickstoffdünger erheblich reduzieren, und einigen, die gesunde Omega-3-Fettsäuren produzieren. Keines dieser Produkte hat es bisher geschafft, die regulatorischen Hürden zu überwinden, die von ihren Gegnern errichtet wurden.
Als ich in Indien war, besuchte ich Deepak Pental, den früheren Vizekanzler der Universität von Delhi. Pental, ein eleganter, leise sprechender Mann, ist Professor für Genetik und einer der angesehensten Wissenschaftler des Landes. »Wir haben den Fehler gemacht, die genetisch modifizierten Produkte allzusehr zu promoten, zu sagen, dass es eine Technologie sei, die alle Probleme lösen würde«, begann er. »Der Hype hat uns geschadet.« Pental, der seinen Doktortitel an der Rutgers Universität in New Jersey erhalten hat, widmete einen großen Teil seiner Laufbahn der Forschung an Brassica juncea, Senfsamen. Senf und Raps, Brassica napus, sind eng verwandt.
Senf wird in Indien auf sechs Millionen Hektar angebaut. Es gibt Teile des Landes, in denen die Bauern kaum eine andere Nutzpflanze anpflanzen. »Wir haben eine Sorte Senföl entwickelt, dessen Zusammensetzung noch besser ist als die von Olivenöl«, sagte er. »Es enthält viel Omega-3 und das ist für eine vegetarische Ernährung unverzichtbar« – keine unwichtige Überlegung in einem Land, in dem eine halbe Milliarde Menschen kein Fleisch essen. Die Schärfe, die die meisten Menschen mit Senf verbinden, wurde aus dem Öl herausgezüchtet, es enthält auch nur wenige gesättigte Fette. »Es ist ein schönes, robustes System«, sagte er und fügte hinzu, dass es mehrere erfolgreiche Versuche mit dem Senf gegeben habe. »Unsere gesamte Arbeit wurde mit öffentlichen Mitteln finanziert. Niemand wird jemals damit Profit machen, das war nie unsere Absicht. Es ist eine sichere, nahrhafte und wichtige Nutzpflanze.« Er wächst auch gut in trockener Erde. Nur, er wurde in einem Labor hergestellt und wird deshalb zwei Jahrzehnte später immer noch nicht eingesetzt.
Nahezu zwanzig Prozent der Weltbevölkerung lebt in Indien. Aber das Land verfügt nur über fünf Prozent des Trinkwassers des Planeten. »Jedes Mal, wenn wir ein Kilogramm Basmatireis exportieren, exportieren wir fünftausend Kilogramm Wasser«, sagte Pental. »Das ist ein selbstmörderisches Vorgehen. Die Ernährung hat für uns keine Priorität. Wir exportieren Millionen Tonnen Sojamehl nach Asien. Die Japaner füttern damit Kühe. Der Nährwert dessen, was eine Kuh in Japan frisst, ist höher als der Nährwert, was ein Mensch in Indien isst. Das muss aufhören.«

Weißer Reis ist das lächerlichste Lebensmittel, das Menschen anbauen können

Pental bemühte sich, die Enttäuschung aus seiner Stimme herauszuhalten. »Weißer Reis ist das lächerlichste Lebensmittel, das Menschen anbauen können«, sagte er. »Es ist einfach nur ein Haufen Stärke, und wir füllen unsere Bäuche damit.« Er zuckte die Achseln. »Aber es ist natürlich«, sagte er und betonte ironisch das letzte Wort. »Daher kann es bei den Maschinenstürmern bestehen.«
Vor Kurzem erklärte Shiva in einer Rede, warum sie Studien ablehnt, aus denen hervorgeht, dass genetisch veränderte Produkte wie Pentals Senföl sicher sind. Monsanto, sagte sie, habe einfach für falsche Geschichten bezahlt und »jetzt kontrollieren sie die gesamte wissenschaftliche Literatur der Welt«. Nature, Science und der Scientific American, drei weithin bewunderte akademische Publikationen »sind jetzt zu Erweiterungen ihrer Propaganda geworden. Es gibt keine unabhängige Wissenschaft mehr auf der Welt«.
Monsanto ist zweifellos reich, aber es hat einfach nicht so viel Macht. Exxon Mobil ist sieben Mal so viel wert wie Monsanto, dennoch hat das Unternehmen es nicht geschafft, den wissenschaftlichen Konsens zu verändern, dass fossile Brennstoffe die wesentliche Ursache des Klimawandels sind. Die Tabakfirmen geben jedes Jahr mehr Geld für die Lobbyarbeit in Washington aus als Monsanto, aber es ist schwer, Wissenschaftler zu finden, die das Rauchen befürworten. Der Abstand zwischen der Wahrheit über genetisch modifizierte Organismen und dem, was die Leute darüber sagen, wird immer größer. Das Internet quillt über von Videos, die vorgeben, die Lügen über genetisch modifizierte Produkte zu entlarven. Mike Adams, der eine populäre Website namens Natural News betreibt, verglich kürzlich Journalisten, die sich kritisch mit Anti-GMO-Aktivisten wie Shiva auseinandersetzen mit Nazi-Kollaborateuren.
Der hartnäckigste Einwand gegen die landwirtschaftliche Biotechnologie und der am weitesten verbreitete ist, dass wir, indem wir DNS von einer Lebensform ausschneiden und sie in eine andere einspleißen, eine unsichtbare Linie überschritten haben und Lebensformen geschaffen haben, die anders sind als irgendetwas, was man in der Natur findet. Diese Furcht ist zweifellos aufrichtig. Aber ein einfacher Gang durch den Supermarkt zeigt, dass nahezu jedes Lebensmittel, das wir essen, modifiziert wurde, wenn nicht durch Gentechnik, so durch traditionellere Zuchtmethoden oder durch die Natur selbst. Mais gäbe es nicht in seiner heutigen Form, wenn Menschen die Pflanze nicht kultiviert hätten. Die Pflanze wächst nicht in der Wildnis und würde nicht überleben, wenn wir plötzlich aufhörten, sie zu essen.
Wenn es um die Medizin geht, sind den Amerikanern die Grenzen der Natur egal. Chirurgen nähen routiniert Herzklappen von Schweinen in die Herzen von Menschen, die Operation hat Zehntausenden von Menschen das Leben gerettet. Synthetisches Insulin, das erste genetisch veränderte Produkt, wird jeden Tag von Millionen Diabetikern angewendet. Um das Medikament herzustellen, fügen die Wissenschaftler menschliche Proteine in ein gewöhnliches Bakterium ein, das dann in riesigen industriellen Bottichen gezüchtet wird. Gegen diese Fortschritte wird nicht protestiert. Im Gegenteil, die Menschen fragen danach und es ist anscheinend unerheblich, woher die Ersatzteile kommen.
Wenn Shiva schreibt »Goldener Reis wird die Mangelernährungskrise verschlimmern« und dass er Menschen das Leben kosten werde, dann bestärkt sie die schlimmsten Ängste ihres hauptsächlich aus dem Westen stammenden Publikums.
Viel von dem, was sie sagt, trifft den Nerv der vielen Menschen, die das Gefühl haben, dass profitorientierte Unternehmen zu viel Macht über die Nahrung haben, die sie essen. Die Argumente dieser Menschen sind durchaus stichhaltig. Aber Shivas Aussagen werden selten von Daten gestützt und ihr Standpunkt ähnelt oft mehr jenem eines Endzeitmystikers als dem eines Wissenschaftlers.
Genetisch veränderte Pflanzen werden das Problem der Hunderten von Millionen Menschen nicht lösen, die jede Nacht hungrig ins Bett gehen. Es wäre viel besser, wenn die Nahrungsmittel der Welt auch eine angemessene Versorgung mit Vitaminen enthielten. Es würde auch den Völkern vieler von Armut gebeutelter Länder helfen, wenn ihre Regierungen weniger korrupt wären. Befahrbare Straßen würden mehr dazu beitragen, Defizite in der Ernährung zu verringern, als genetisch modifizierte Organismen es jemals könnten, ebenso eine angemessenere Verteilung der schwindenden Trinkwasserreserven der Erde. Keine einzelne Nutzpflanze und kein einziger landwirtschaftlicher Ansatz allein kann die Welt ernähren. Damit Milliarden Menschen nicht Hunger leiden müssen, brauchen wir jeden einzelnen davon.

Meine Meinung …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aus Effilee #31, Winter 14/15
«
»