Fred Loimer 2008 Langenlois Spiegel, Kamptal Reserve

Der Donnerstag war elend ruhig. Einer der Abende, an denen man alle Flaschen der Bar vom Buffet nimmt und nass […]

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2008 Langenlois Spiegel, Kamptal Reserve

Der Donnerstag war elend ruhig. Einer der Abende, an denen man alle Flaschen der Bar vom Buffet nimmt und nass abwischt. Die wenigen Restaurantgäste des Abends waren relativ schnell durch die Tür, und die Versuchung den Laden schon gegen 23 Uhr abzuschließen mehr als verlockend. Alles blitzte und glänzte, das Wochenende konnte kommen, als plötzlich die Tür einen Spalt aufgeht und ein älterer, etwas derangiert schauender Mann den Kopf hineinsteckt und fragt: »You’re open?«
Das Hotel Intercontinental pflegte unternehmungslustige Late Check-ins gern zu uns ins Restaurant zu schicken.
Wieder kein früher Feierabend, denke ich und lege den Kippschalter um. »Selbstverständlich sind wir geöffnet, bitte treten Sie ein.« Einsame Männer, die Restaurants kurz vor Ladenschluss mit sich und ihrer Einsamkeit zu füllen pflegen, sind manchmal schwer gelitten. Doch zum Glück ist er nicht allein, sondern in Begleitung einer Dame und eines etwas untersetzten Herrn. Anna, die Azubine, kümmert sich um die Garderobe während ich in die bereits ebenfalls blitzblank geputzte Küche gehe, und den Köchen erkläre, dass sie alles wieder schmutzig machen dürfen, um es nachher noch mal zu putzen. Jubelschreie und Applaus begleiten mich auf meinem Weg zurück in den Gastraum.
Irgendwie kommt mir der Kerl bekannt vor, denke ich, komme aber nicht sofort drauf. Ein Tisch, gerne etwas abseits, wird gewünscht. Das leere Restaurant ist ein einziges Abseits heute Abend. Als ich die Getränke aufnehmen will, dämmert es mir, als mich jäh die Frage auf Deutsch unterbricht: »Hast du Gruner Veltliner? Ick will Schorle.« Es zündet.
Lou Reed sitzt in meinem Restaurant und will Grünen Veltliner trinken. Als Schorle. Nicht schlecht, denke ich. »Eine einfache Qualität oder was Manierliches?«, frage ich. »Bring the best bottle«, ist die lapidare Antwort. Als ich auf dem Weg vom Keller durch die Küche komme, um mitzuteilen, wer so spät stört, ist die randalierende Meute sofort ruhig. »Der hat heute in der Philippshalle gespielt und ich hab kein frei bekommen!«, mault es aus der hinteren Ecke des Entremetiers, bevor ein »Fresse dahinten!« zur Ruhe mahnt.

Ich gehe zum Tisch und präsentiere den Wein bevor er 1 : 1 mit feingeperltem Mineralwasser aus dem Ahrtal zerschorlt wird. Ich frage mich immer wieder, warum man nicht aus einem Glas den Wein, aus dem anderen das Wasser trinkt, aber geschenkt. Geschmack ist ja Ansichtssache. »Geht eh alles in einen Magen«, sagte meine Oma immer.
Seine Begleitung ist relativ schnell mit etwas Fleisch und Salat zufrieden, Reed braucht ein wenig länger bei der Speisenauswahl. Die Situation ist merkwürdig. Eine Aura von Stardom weht über den Tisch, obwohl ich nie Fan war.
Endlich nähern wir uns dem Punkt, an dem die Bestellung aufgenommen werden kann. Es müssen nur noch ein paar Nudelblätter aus dem Fischgang entfernt werden, bis es mir dämmert: »You are diabetic?« Stille. Schlagartig wird mir mein Fehler bewusst: NIEMALS darf man amerikanische Gäste auf ein Gebrechen ansprechen. Was als Tischgespräch hierzulande recht und billig ist, ist im Land des hirnerweichenden Positivismus und des Servicestandards schlicht nicht vorgesehen. Das Gast fliegt um den halben Planeten, bekommt ein szeniges Lokal empfohlen und der Maître pöbelt sinngemäß: »Reed, ey, du bist ja völligst defekt!« Großartig. Das Gesicht seiner Tourmanagerin erstarrt und signalisiert Hilflosigkeit. Es gibt keine genormte Reaktion auf diese typisch europäische Dreistigkeit. Der Road Manager telefoniert. Gleich wird er den Restaurantmanager verlangen, schwant es mir. Gut, dass ich bereits am Tisch stehe.
»What’s your name?«, fragt Reed. Ich antworte und suche nach Worten der Entschuldigung, als er die Karte schließt, lächelt und sagt: »Sebastian, you do it! Turbot, you take care of the rest.«
Die Annonce in der Küche war eine Wonne: einmal Steinbutt diabetikergerecht und so lecker wie möglich. »Lou hat Diabetes?«, mitleidige Blicke eines Haufens harter Jungs. Irgendwer hatte inzwischen Transformer aufgelegt.
Die Anspannung war verschwunden. Es gibt wenig, was eine gute Mahlzeit nicht richtet, und den Rest richtete eine Flasche Spiegel aufs Angenehmste, wenn auch verdünnt. Sogar die Tourmanagerin war nach meinem Fauxpas wieder auf Spur. Wir plaudern ein wenig über dies und das. Generell sei es schwer, auf Tour etwas Anständiges zu essen zu bekommen, insbesondere nach dem Konzert. Diabetes mache das alles nicht leichter. Umso berührter sei er, am anderen Ende der Welt in eine Kneipe zu kommen, wo alles so prima läuft. Das Leben sei heute gut zu ihnen. Ein schönes Kompliment, bedanke ich mich, verstehe das mit der Schorle aber immer noch nicht.
Es wurde wie geahnt wieder mal nichts aus dem frühen Feierabend. Dafür war es ein außerordentlich netter Abend. Gegen halb zwei verabschieden sich die drei Weltbürger ins nahegelegene Interconti-Hotel. High five, thank you veeery much, danke shon, good Nacht! Lou Reed schreibt ein paar Zeilen ins Gästebuch. Beim Rausgehen dreht er sich nochmals in der Tür um und sagt: »The Gruner was particularly good.« »Ja«, sage ich, und überlege kurz, die Spiegel Schorle Reserve à la Lou Reed auf die Karte zu nehmen, verwerfe den Gedanken beim wohlverdienten Bahn-Bier auf dem späten Heimweg aber wieder.
GRÜNER VELTLINER

Autor: Sebastian Bordthäuser Foto: Andrea Thode

www.loimer.at

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