Dylan Watson-Brawn: Ernst

Dylan Watson über japanische Ethik und Ästhetik, die Kunst, Fische zu töten und seine Pläne mit dem Restaurant Ernst in Berlin

Dylan Watson-Brawn ging mit siebzehn von Vancouver nach Tokio, um dort in einem Drei-Sterne-Restaurant zu hospitieren. Ein halbes Jahr später wurde er übernommen, als erster Nicht-Japaner überhaupt. Im Herbst will er in Berlin ein Restaurant eröffnen
Dylan, Wie kommt man mit siebzehn von Vancouver nach Tokio in ein Drei-Sterne-Restaurant?
Aus einer Laune heraus! – Mein Vater ist ein wirklich cooler Typ und er sagte: Die Schule, das läuft okay, aber das ist nicht der Ort für dich. Er glaubt nicht an die traditionelle Erziehung. Und er sagte, lass uns drei Wochen nach Japan gehen, und danach machst du in Vancouver eine Ausbildung als Koch. Ich hatte schon seit einigen Jahren immer wieder in Restaurants gearbeitet, am Anfang einmal in der Woche bei der Vorbereitung, später, als ich sechzehn war, auch schon selbständig einen Posten gekocht. Alle anderen waren zehn Jahre älter.
In Tokio waren wir in einem Restaurant, das heißt RyuGin. Das Essen dort hat mich wirklich umgehauen, ich hatte noch nie in meinem Leben etwas gegessen, was dem nahekam. Und der Reiseführer, den mein Vater für zwei Tage gebucht hatte, sagte, frag doch, ob du in der Küche anfangen kannst, ich habe gehört, dass Seiji Yamamoto, der Chef, manchmal stagees (Praktikanten) nimmt.
Und sie haben ja gesagt?
Sie haben ja, vielleicht gesagt, und ich dachte, die sind bestimmt nur höflich. Dann ging ich für einige Wochen nach Kyoto, in ein Kaiseki-Restaurant im klassischen Kyoto-Stil, das zu der Zeit zwei Sterne hatte. Da hing ich rum und habe Teller gespült, das war eine sehr feindselige Umgebung. Und dann kam eine E-Mail vom RyuGin, darin stand: »Du fängst Montag an.«
Und ich dachte, oh Gott, stieg in einen Zug nach Tokio, kam dort an, sie zeigten mir das Zimmer, wo ich wohnen würde, mit sechs anderen. Ich stellte meine Tasche ab und fing an zu arbeiten. Am selben Tag. Und ich war derartig unvorbereitet. Ich konnte nichts von dem, was man dort brauchte. Nichts. Das Einzige war, dass ich wusste, wie man schnell arbeitet, und wie man sich organisiert, weil ich in Vancouver einen Posten gemacht habe in einem Restaurant, das wirklich viele Couverts auf hohem Niveau geschickt hat. Aber abgesehen davon wusste ich nichts.
Aber irgendwie war das auch ein Segen, weil ich meine ganze Technik in Japan gelernt habe. Alles, was ich mit dem Messer kann, wie ich ein Messer ansehe, wie einen Schnitt betrachte, alles ist japanisch. Viele kommen da hin, für ein Stage und tun sich schwer damit, sich anzupassen. Sie wollen die Sachen so machen, wie sie es gelernt haben. Für mich war es leicht, die Sachen auf die japanische Art zu machen, dazu gehört viel Arbeit mit dem Messer, wo ich dachte, das ist unmöglich. Aber man muss einfach weitermachen.
Es gibt zum Beispiel eine Technik, wo man quasi in die Hand hineinschneidet. Man nimmt eine Schalotte oder Myoga, ein japanisches Gemüse, ein Zwischending zwischen Schalotte und Ingwer, und schneidet mit dieser Technik dünne Scheiben, breitet sie aus und kann dann eine superfeine Julienne schneiden, die sehr luftig ist. Wenn man normal schneidet, kriegt man das nicht hin.
Wie lange hast du das gemacht?
Drei Monate, von Oktober bis Dezember. Die ganze Zeit über hat mir keiner mal gesagt, das hast du gut gemacht oder so. Dort wird in der Küche normalerweise nicht geredet. Zwei Köche gab es, die konnten ein bisschen Englisch, die haben mir geholfen, in den Groove zu kommen, und dann habe ich da sechzehn bis achtzehn Stunden am Tag gearbeitet, Teller gewaschen und geackert. Bis es irgendwann klick gemacht hat und überhaupt nicht mehr anstrengend war.
Dylan Watson-Brawn
Drei Monate war ich da, von Oktober bis Dezember. Die ganze Zeit über hat mir keiner mal gesagt, das hast du gut gemacht oder so. Dort wird in der Küche normalerweise nicht geredet.
Und wann wusstest du, dass du übernommen wirst?
Am vorletzten Tag kam der Chef zu mir und sagte, wir finden dich gut, uns gefällt, wie du arbeitest, willst du für fünf Jahre bleiben? So geht das in Japan. Ich war sprachlos. Sie sagten, wir wollen, dass du bleibst. Und wir werden dich bezahlen. Und du wirst zur Mannschaft gehören. Das hatte es in diesem Restaurant vorher nie gegeben. Sie hatten noch nie jemanden eingestellt, der kein Japaner war. Und klar, ich bin geblieben.
Aber nicht für fünf Jahre?
Für etwa eineinhalb Jahre. Ich hatte leider Probleme mit dem Visum. Damals war ich siebzehn. Und in Japan gilt man erst mit zwanzig als erwachsen. Um ein Working-Holiday-Visum zu bekommen, muss man zwanzig sein. Wir hatten alles versucht, Anwälte und die Kollegen, aber das Alter war einfach ein Problem. Und dann war ich schon sechs oder sieben Mal mit einem Touristenvisum ein- und ausgereist, und bei der letzten Einreise hielt mich der japanische Zoll vier oder fünf Stunden lang fest und wollte wissen, was ich eigentlich tue. Ich hab einfach gar nichts gesagt und irgendwann haben sie mich gehen lassen. Aber ich konnte nicht in Japan bleiben. Yamamoto San hat mir ein Empfehlungsschreiben gegeben und ich ging dann nach New York, um mir da ein paar Küchen anzusehen, nichts wirklich Ernstes. Danach half ich noch bei der Eröffnung des zweiten Restaurants von RyuGin und im Noma war ich auch für ein paar Wochen.
Was machst du jetzt in Berlin?
Wir mögen nicht den Begriff Supperclub. Ich würde das Private Kitchen nennen, so nennt man das in Hongkong. Wir kochen nur ein Menü mit den Produkten, die es gerade gibt. Sechs Leute am Tisch, entweder eine Gruppe oder zufällig. Fünfundzwanzig bis dreißig Gänge, je nachdem.
Aus der kleinen Küche heraus?
Ja, aber ein Gericht kann sehr einfach sein. Eines unserer beliebtesten Gerichte ist eine Karotte von einem Hof in der Uckermark. Die Erde ist dort sehr fett, aber auch sandig, viel Quarzsand, und daher wächst dort alles sehr, sehr langsam. Die Karotte braucht dreimal so lange wie normal. Das gilt auch für Teltower Rübchen und so. Es ist so viel langsamer. Aber die Aromen sind überwältigend. Wir rösten die Karotten sehr, sehr langsam, zwei bis drei Stunden lang über Eichenholzkohle, die wir selbst machen, und vollenden sie mit geklärter Butter von einem Hof in Beeskow, die hat viel intensives Fett, und einer eher sauren Rohbutter von einem Hof in Husum. Das ist das ganze Gericht. Wirklich supereinfach. Oder wir servieren geriebenen Fenchel mit saurer Sahne und etwas Meerrettich. Also wirklich einfache Sachen. Ziegenjoghurt und Bete. Keine anderen Elemente. Keine verdammten Mikroelemente. Niemals. Nichts sollte da sein, wenn es keinen Sinn ergibt. Das bringt die Leute nur durcheinander. Vielleicht ist es ästhetisch angenehm.
Vielleicht ist es ja auch Unsicherheit auf Seiten des Kochs?
Das glaube ich auch. Die ästhetische, visuelle Ausrichtung der Küche kommt meiner Meinung nach daher, dass die Produkte nicht gut genug sind. Wenn man so viele Elemente auf dem Teller hat, wie kann man da die Qualität gewährleisten? Wie kann man objektiv all die Teile des Puzzles beurteilen? Wenn wir an einem Gericht arbeiten, nehmen wir Dinge weg. So viel wir können, bis wir etwas finden, das konzentriert und verfeinert ist, und wir das eine beste oder die zwei besten Produkte haben, die harmonieren. Und dann überlegen wir, wie wir sie präsentieren können. Je unsicherer man ist, was die Produkte oder das Kochen betrifft, desto mehr muss man tun, um das zu überdecken. Und gleichzeitig ist das ein Problem, weil man seine Idee nicht sauber an die Gäste vermittelt. Das ist eine große Angelegenheit. Wenn du deine Idee sauber kommunizierst, dann sind die Gäste auf der gleichen Ebene, selbst wenn sie sich im Hinblick auf das Essen außerhalb ihrer Komfortzone bewegen. Sie werden es verstehen und ein außerordentliches Erlebnis haben.
Was macht denn für dich ein wirklich gutes Produkt aus?
Das ist theoretisch sehr einfach, aber neun von zehn Mal, wenn man mit Leuten über gute Produkte spricht, können sie dir nicht sagen, was ein gutes Produkt ist, wie es aussieht, wie es schmeckt. Ich hatte das Glück, in meinem Leben viele Erfahrungen mit sehr guten Produkten machen zu können.
Viele hassen heute die französische Küche, aber was die klassische französische Küche getan hat, ist, Köchen beizubringen, wie man Produkte auswählt. Zum Beispiel im Arpège, bei Alain Passard, sind die Produkte außerordentlich gut. Das Gemüse und alles andere ist so köstlich und voller Geschmack, nur ganz mild gewürzt. Für mich ist das eines der perfekten Restaurants. So ein wunderbares Erlebnis! Die Qualität der Produkte ist einfach unglaublich. Und das kann man sehen und schmecken und quantifizieren.
Aber heute können viele, gerade auch auf kleinen ökologischen Höfen gar nicht beurteilen, wie schlechte Produkte aussehen. Und dann verwenden sie sie trotzdem, weil sie gut aussehen, oder wegen der Abwechslung. In dieser Bewegung wird heute die Philosophie wichtiger als die Wirklichkeit.
Dylan Watson-Brawn
In der Ökobewegung ist heute oft die Philosophie wichtiger als die Wirklichkeit
Ihr benutzt aber auch ökologische Produkte?
Ja, aber wir verwenden lokale, ökologische, biodynamische Produkte nicht, weil wir damit ein gutes Gefühl haben. Ethik und Verantwortung gehören auch dazu, aber wir verwenden sie, weil die Qualität besser ist. Weil sie besser schmecken, und wir haben mehr Kontrolle über den Anbau und den Transport und den Umgang mit den Produkten. Das ist wichtig. Wenn ich aber für den gleichen Preis fantastische Gemüse aus Japan bekommen könnte, würde ich die nehmen.
Statt dessen kauft ihr in Brandenburg?
Wir haben für uns auch eine Regel festgelegt, und die heißt, wir kaufen nur direkt ab Hof. Das ist wirklich anstrengend, wir arbeiten ganz ohne Zwischenhändler, das ist eigentlich ein komplettes Desaster.
Das heißt ihr müsst …
… fünfundzwanzig Bauern koordinieren. Jede Woche. Eines der Kriterien ist, dass die Höfe liefern müssen. Es gibt aber auch welche, einen Hof, den wir uns gerade ansehen, in der Uckermark, zum Beispiel, die liefern nicht. Die verkaufen nicht an Städter. Die sind schon lange überhaupt nicht mehr in der Stadt gewesen.
Was dort produziert wird, ist auch eine Art von Luxusprodukten. Fisch gehört dazu. Das ist aus der Not geboren. Der Fisch, den man in Berlin bekommt, ist einfach ekelhaft. Ich habe das von den großen Lieferanten probiert, das war unglaublich, was ich da bekommen habe. Wir haben dann angefangen, mit Ike Jime zu arbeiten, weil wir die Qualität brauchten. Wir bekommen den Fisch von einem Fischer, der ihn wild in der oberen Havel fängt. Da gibt es eine vierzig Jahre alte Lizenz, und er hat sie. Er fängt die Fische lebend, ruft uns am Morgen an und sagt, was er hat.
https://youtu.be/elCjp26nXEM
Spencer Christenson, mit dem ich das zusammen mache, fährt dann da hin und holt die lebenden Fische. Dann kommen sie in einen Behälter mit dem gleichen Wasser, aus dem sie kommen, und man lässt sie aber nicht schwimmen. Dann kommen sie zur Ruhe und die Milchsäure sinkt stark ab. Der ganze Stress sinkt. Da lässt man sie für einige Stunden, dann entspannen die sich. Dann machen wir Ike Jime, und es ist erledigt. Ohne Stress für das Tier. Und die Qualität ist viel besser.

Ike Jime – die japanische Kunst, einen Fisch zu töten

Was macht ihr dann damit?
Wir lassen den Fisch reifen, etwa eine Woche, und dann servieren wir so einen Fisch roh, leicht mit Heu geräuchert und über Holzkohle gegrillt, mit Salz und Seetang-Butter. Für mich ist das der richtige Weg, ein gutes Produkt zu genießen. Sehr japanisch. Ich glaube nicht, dass man mehr braucht, wenn das Produkt makellos ist.
Es passiert etwas Interessantes, wenn man bewusst isst. Wenn man wirklich mitbekommt, was man isst, das ist ganz anders als bei einem Teller, der halb abstrakt ist, wo man nicht wirklich sehen kann, ob es sich um Essen handelt oder nicht. Wo man nicht sagen kann: Das ist eine Karotte. Sondern es ist ein Püree oder so was.
Ich will nicht respektlos sein, aber es gibt so viele Restaurants, in denen ich auch gearbeitet habe, da ist auf jedem Teller ein Püree. Mehrere Pürees vielleicht. Ein Püree, eine Jus, eine wunderschöne Garnitur vom Entremetier, und das Fleisch wird unter einer anderen Jus und irgendwelchen wilden Kräutern versteckt. Und man fragt sich, wie passt eigentlich das Fleisch hier rein? Und das gefällt mir überhaupt nicht. Fleisch, vor allem großartiges Fleisch – da ist so viel Energie reingegangen, als es produziert wurde. Das sollte man genießen, ganz und gar.
In Japan, in den Kaiseki-Restaurants, da zelebriert man das Fleisch. Japaner sind von großartigem Tintenfisch genauso begeistert wie von Foie gras. Deshalb ist die japanische Esskultur so weit vorn. Meilen vor allen andern. Der durchschnittliche Japaner weiß mehr vom Essen als der durchschnittliche Mensch hier. Die Leute flippen aus, wenn es um Reis geht. Hier dreht keiner durch, wenn es irgendwo guten Emmer gibt. Man sagt, die Deutschen lieben Brot, aber in Berlin lieben sie Brot nicht wirklich, denn es gibt sehr wenige gute Bäckereien.
Wie konkret sind denn die Pläne für das Restaurant, wird es einen Tresen geben?
So ist der Plan. Ich will einen Tresen mit vierzehn Plätzen haben. Ich will weiter mit den kleinen Höfen arbeiten, und für größere Restaurants produzieren die einfach nicht genug. Wir werden die Adressen unserer Lieferanten auf der Website veröffentlichen, und wie man sie unterstützen kann. Jeder Gast, der bei uns war, soll da hingehen und die Produkte kaufen. Private Kunden sind das Beste, was so einem Hof passieren kann.
Tresen machen jetzt ja viele …
Bei uns wird es aber anders sein. Wir werden wirklich direkt vor unseren Gästen arbeiten. Wir kochen fast alles à la minute, wenn wir eine Sauce machen, tun wir das direkt vor den Gästen. Direkt bevor wir den Gang servieren. Wir machen zum Beispiel eine Sauce mit Spinat, Mineralwasser und einer Spinatreduktion. Das machen wir à la minute. Wenn etwas so einfach ist, muss es unglaublich frisch sein. Unglaublich lebhaft und überschäumend. Das kann nicht irgendwo rumstehen und diese Qualität verlieren. Wir werden das Fleisch vor den Gästen schneiden, braten, anrichten. Ich möchte, dass das sehr intim ist und man zur gleichen Zeit auch sein eigenes kontemplatives Erlebnis haben kann. Es wird sicher kein Ort sein, an dem man rumbrüllt, aber auch nicht steif. Es wird einen Tresen für zehn bis zwölf geben und einen Tisch.
Wie in Japan?
Genau. Wir werden zu dritt sein, Spencer, der Sommelier Christoph Geyler und ich.
Und wann wird es so weit sein?
Wir sind eigentlich startbereit. Wir haben das Geld, wir haben das Team, wir haben das Konzept, wir haben die Produzenten. Momentan fehlt noch der Ort. Aber ich denke, bis Anfang Juni werden wir etwas haben. Dann drei oder vier Monate für den Umbau, einen Monat zum Üben, für Testessen – ich würde gern im Herbst öffnen. Das wäre eine gute Zeit. Das passt sehr schön zu den Jahreszeiten. Da gibt es Wild, tolle Gemüse, der perfekte Zeitpunkt. Für mich die beste Jahreszeit, wenn es ums Kochen geht.

http://www.ernstberlin.de

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