Eigentlich sollte dieser Text, falls noch einer daraus wird, jetzt so weitergehen, den frühlingshaft blumigen Kabinett aus dem Erdener Treppchen lobpreisen, der so grazil, leichtfüßig, ja auch dünn, aber charmant fruchtig und weich und strukturiert wie eine Daune ist. Seinetwegen wollte ich Ernst Loosen aus Bernkastel zum Hohepriester des Kabinetts ausrufen lassen. Weil es für ihn, diesen weit reisenden Botschafter des deutschen Rieslings doch »much, much, much (!) more challening« ist, einen tollen Wein mit wenig Alkohol zu produzieren als einen mit vollem Körper. Schließlich sei doch genau das die Stärke der Mosel seit 2000 Jahren. Noch dazu eine, deren schieferwürzig-pikante Stilistik sonst nirgends auf der Welt kopiert werden könne. Dies alles also wollte ich hier abperlen lassen, während ich am Halm ziehe und auch das noch, dass man früher, als das Klima noch das Klima von gestern war, einen vergleichbaren Selektionsaufwand bei der Weinlese allenfalls für teure Auslesen und Beerenauslesen betrieben hat, um die Rosinen aus den Trauben zu picken. Heute indes, »crazy!«, so Loosen, picke man die frischen, reifen und vor allem gesunden Beeren aus den voll- und überreifen oder gar edelfaulen Trauben. Diese hängt den Winzern seit einigen Jahren die Klimaerwärmung in die Reben und heißt uns, sich darin zu üben, den immerfrischen Kabinett auch als abgestufte, schwermütige Spät- oder gar Auslese mit hängenden Schultern zu ertragen. Aber das tun wir nicht, so lange es Kabinettweine wie diesen gibt. Gerade mal acht Volumenprozent Alkohol muss der ertragen, doch die spült das feine und ausgewogene Frucht-/Säurespiel mit Leichtigkeit den Halm hinunter.
So. Das alles wollte ich gesagt haben. Aber dann habe ich mir noch die Spätlese aus der Wehlener Sonnenuhr ins Glas geschenkt und die hat mich nicht mehr losgelassen. Eigentlich ist die Lage ja irgendwie durch Joh. Jos. Prüm besetzt, so wie das Hamburger Volksparkstadion durch den HSV, denn die Sonnenuhr ist der signature wine dieses deutschen Kultweinguts. Aber diese Spätlese von Dr. Loosen ist derart klar, hell und rauchig, dass man meint, die Regentopfen auf den heißen blauen Schieferplatten verdunsten zu riechen. Das ist der Wein, den man gegen den Durst trinkt, der dann aber immer durstiger macht. Reintönig, würzig und pikant ist er, kitzelt den gesamten Gaumen und prahlt sinnlich voller Frucht, bleibt aber ebenso leicht und frivol wie der Kabinett. Vielleicht ist hier der Maßkrug ja doch die zweckdienlichere Lösung als der Strohhalm?
Text: Stephan Reinhardt
Meine Meinung …