Cheeseburger? Nein danke!

Wenn die Religion das Essen kompliziert macht: koshere Cheeseburger.

In kaum einer Religion ist das Essen so kompliziert wie im Judentum. Es gibt zwar nur wenige Regeln, die festlegen, was koscher ist, also zum Essen geeignet, aber die haben große Auswirkungen auf den gesamten Alltag

Cheeseburger, Rechteinhaber: Jon Gilbert Leavitt (Flickr), Lizenzvereinbarung: Creative Commons Attribution 2.0 Germany License
Auch Fast Food geht koscher

Draußen vor dem Jüdischen Museum hängen große Plakate mit geschlachteten Tieren. Einige sind mit einem roten Stempel versehen: Koscher! Die Ausstellung Koscher & Co. handelt von den Spitzfindigkeiten, von denen die jüdische Küche durchdrungen ist. So wie andere Religionen ihre Regeln haben – Katholiken essen zu Weihnachten Fisch und fasten vor Ostern, Buddhisten essen kein Fleisch, Hindus kein Rindfleisch, Moslems kein Schwein – so haben auch die Juden ihre Vorschriften: Koscher bedeutet schlicht, dass etwas erlaubt ist oder, genauer, dass es geeignet ist. Das nicht Koschere heißt im Hebräischen trefe, was unrein oder ungeeignet bedeutet. Semantisch ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Wörtern dasselbe wie zwischen den beiden arabischen Begriffen halal und haram, denen sich Moslems aus religiösen Gründen unterordnen.

Die Tiere, deren Fleisch Juden essen dürfen, die also koscher sind, müssen sowohl gespaltene Hufe haben als auch Wiederkäuer sein – es müssen beide Anforderungen erfüllt sein! Sobald es nur für eine von beiden reicht, ist das Tier nicht koscher. Das Schwein zum Beispiel: Das hat zwar gespaltene Hufe, aber weil es nicht zugleich ein Wiederkäuer ist, darf es in der jüdischen Küche nicht verwendet werden.

Fisch darf man an sich essen, doch muss er Flossen haben und sichtbare Schuppen vorweisen. Damit sind Haifischsuppe und Walsteak ausgeschlossen, das Fischfilet dagegen darf an Bord. Aal ist ebenfalls ausgeschlossen. Das hängt mit der Regel zusammen, dass kein Tier, das man isst, ein Aasfresser sein darf. Ergo kommt auch der Geier nicht in Frage, falls man in der Wüste zu verhungern droht. Der Geier ist, wie der Schakal, trefe.

Ein gutes Beispiel für die Frage der Schuppen ist der Stör. Noch immer wird in jüdischen Kreisen frenetisch diskutiert, ob es sich bei dessen Hautstruktur um Schuppen handelt. Schuppen definiert man, zumindest in jüdischem Sinn, als etwas, das man abziehen kann, ohne die Haut zu beschädigen. Die großen Platten des Störs aber sind gewissermaßen eins mit dem Fisch. Das Ende vom Lied ist, dass manche Juden auf Kaviar verzichten, während andere das Problem diskutieren oder wegdiskutieren, und sich dabei das schwarze Gold auf ihre frisch gebackenen Blinis schaufeln. Die letzte Regel zu all den Leckereien aus dem Meer besagt, man dürfe keine Schalentiere essen. Entsprechend essen Juden weder Muschelsuppe noch Jungfrauenhummer.

Vögel darf man als Jude in der Regel essen, und tatsächlich sind sowohl Hähnchen wie Gans, Ente, Pute und Wachtel koscher. Eine weitere Regel der heiligen Schriften schreibt vor, »alles Kleingetier, das über die Erde kriecht«, sei sheqets, die hebräische Bezeichnung für schmutzig. Ergo darf man keine Schlangensuppe essen und muss überhaupt auf Kriechtiere verzichten.

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Eine koschere Bäckerei im jüdischen Viertel von Paris, dem Marais

Am sonderbarsten ist, dass Giraffe koscher ist. Oder vielmehr: dass Giraffe vor kurzem koscher wurde. Die seit Jahrhunderten strittige Frage konnte neulich geklärt werden, als ein Rabbiner zufällig von einem Arztbesuch bei einer Giraffe hörte. Dem Rabbiner wurde erlaubt, die betäubte Giraffe zu melken, und ein Test zeigte, dass die Milch eine Käsemasse bildet, wenn sie gesäuert wird. Vor diesem Hintergrund konnte der Rabbiner konstatieren, dass eine Giraffe auch im religiösen Sinn ein Wiederkäuer ist.

Das heißt nun aber nicht, dass fortan kommerziell Giraffenfleisch produziert wird. Zum einen sind Giraffen sehr, sehr teuer – aber nicht nur das. Die Giraffe ist ein Tier, das sich extrem schwer fixieren lässt. Untersuchungen beim Tierarzt können nur in betäubtem Zustand durchgeführt werden. Doch wenn das Fleisch koscher sein soll, muss das Tier springlebendig sein, wenn es geschlachtet wird. Und das könnte Probleme verursachen. Aber keine Sorge! Eigentlich wollte man nur wissen, ob Giraffe koscher ist, weil Giraffenmilch Stoffe enthält, die als Arzneimittel angewendet werden könnten. Der Rabbiner wollte also klären, ob seine Gemeindemitglieder Giraffenpillen schlucken dürfen – falls das eines Tages Realität wird.

Sich zu versichern, ob etwas koscher ist, gehört zu dem, was die gesamte jüdische Gesellschaft brennend interessiert. So gibt es zum Beispiel in meiner Heimatstadt einen Copenhagen-Kosher-Food–Aufkleber. Mit dieser Garantie weiß man als Jude, dass man sein Essen in Ruhe verzehren kann. Auf vielen internationalen Waren wie Konserven oder Mineralwasser findet man die Kennzeichnung Absolut Kosher – das hat dieselbe Funktion. Außerdem erscheinen jedes Jahr neu Verzeichnisse aller Waren, die koscher sind, sodass man auch sein Heineken-Bier oder seinen Mars-Riegel nachschlagen kann. Eine der berühmtesten Listen, die in Deutschland herausgegeben wird, trägt den Titel: Rabbi, ist das koscher? Abgesehen davon, dass die Grundstoffe in Ordnung sein müssen, ist das größte Problem in der jüdischen Küche eine Regel, die einem Satz in der Thora entnommen ist: »Koche nicht ein Zicklein in der Milch seiner Mutter.« Das nehmen Juden buchstäblich. Und so müssen Fleisch und Milch partout komplett getrennt gehalten werden.

Anfangs bedeutete das in der Praxis lediglich, dass man einen anderen Topf für das Fleisch benutzte als für die Milch. Seither wurde die Regel aber mehr und mehr ausgeweitet. Erst musste ein anderer Kochlöffel verwendet werden, dann auch ein anderer Teller. Heute muss bei einer Mahlzeit die gesamte Speisenfolge des Menüs getrennt werden. Man kann zum Beispiel mittags kein Käsebrot essen, wenn man schon ein Wurstbrot hatte. Es gibt sogar Juden, die sich innig damit beschäftigen, wie viele Stunden vergehen müssen, bis man Milch nach Fleisch verspeisen darf.

Allerdings gibt es allerhand, was weder Milch noch Fleisch ist: Eier, Obst, Gemüse und Fisch. Das kann man gut sowohl mit Fleisch wie auch mit Milch essen. Ein Käsekuchen mit Blaubeeren ist also okay – wenn man nicht gerade ein großes Steak verspeist hat. Und man darf auch Blinis mit Kaviar und Crème fraîche essen, vorausgesetzt, als Vorspeise gab es keine Consommé vom Kalb. Isst man ein Beefsteak, muss man sich natürlich versichern, dass es nicht in Butter gebraten wurde. In Butter gebratenen Fisch dagegen essen Juden, denn Fisch ist parve, also weder Fleisch noch Milch.

Auch in den Gerätschaften und der Einrichtung spiegeln sich die beiden Küchen wider. Traditionell sind die Sachen für Fleisch rot und die Milch-Sachen blau. Kannen, Schüsseln, Teller, Tassen, Gläser, Messer, Löffel, Schneidebretter, Gabeln, Töpfe, Pfannen und Rührgeräte sind entweder ganz in der Farbe gehalten oder sie haben einen Rand in blau oder rot, manche haben auch Punkte oder Streifen. Einzelne Familien gehen soweit, dass sie zwei verschiedene Spülmaschinen haben. In sehr alten und großen jüdischen Haushalten gab es manchmal sogar zwei verschiedene Küchen.

Für Außenstehende können die Regeln des Judentums übertrieben oder gezwungen wirken – denn wozu soll das gut sein? Die Erklärung liegt nicht in einer längst überflüssig gewordenen Wüstenhygiene, es ist auch keine Frage der Ästhetik oder dass Juden schon sehr früh irgendwas Spitzfindiges zu Insulin, Blutzucker oder Enzymen im Essen herausgefunden hätten. Nein, die Erklärung ist rein religiös: Das Judentum ist, genau wie der Buddhismus, eine Religion, die praktiziert werden muss.

Man ist mehr Jude, je mehr man sich den jüdischen Vorschriften entsprechend verhält. Und das Praktizieren der Religion wird sehr buchstäblich verstanden. Wenn ein Jude einen anderen Juden fragt: »Ist dein Nachbar ein religiöser Mann?« wird die Antwort oft lauten: »Ja, er hält den Sabbat genau ein.« Oder: »Ja, er versucht, die Kaschrut einzuhalten.« Kaschrut, das sind übrigens die Essensregeln. Für einen Christen wäre die Beantwortung dieser Frage schwieriger, dahinter könnte auch Gesinnungsschnüffelei stecken: Wie sehr glaubt dein Nachbar eigentlich an Gott?

Ein gutes Beispiel ist der Sabbat, für den man vom Sonnenuntergang am Freitagabend bis zum Sonnenuntergang am Samstagabend eine lange Reihe von Regeln einhalten muss. Man darf unter anderem keine Maschinen benutzen, weshalb man auch kein Essen auf dem Herd zubereiten darf. Die Juden sind aber sehr geschickt darin, ihre eigenen Regeln zu umgehen. Das ist förmlich ein kleiner Sport. Fast alle haben kleine Hilfsmittel, die sich im Laufe der Zeit eingeschlichen haben. So gehört zum Beispiel in jeder ordentlichen jüdischen Familie eine große Auswahl an Thermoskannen und Warmhalteplatten zur Grundausstattung, sodass man auch am Samstagmittag eine lauwarme Hühnersuppe bekommen kann – die wird am Vortag zubereitet und über Nacht in der Thermoskanne aufbewahrt.

Für diese Umstände wurden schon viele Erklärungen bemüht. Anthropologen wiesen darauf hin, dass es das Verhalten des Einzelnen diszipliniere, wenn die Anzahl der Tiere begrenzt ist, die man essen darf – und so etwas sickert in die gesamte Gesellschaft ein. Anders gesagt: Wenn es einige Regeln gibt, die alle einhalten müssen, auch wenn sie dazu keine Lust haben, verleiht die damit verbundene Disziplin einer Zivilisation eine Kernstruktur.

Eine andere Theorie besagt, dass Wiederkäuer mit ihren vier Mägen das verdauen können, was wir nicht selbst verdauen können, ergo konkurrieren wir mit Rindern nicht um Nahrung – deshalb sind wir, wenn wir sie essen, weit von uns selbst entfernt, empfinden also nichts Kannibalisches, was wohl anders wäre, äßen wir einen Menschenaffen. Viele Menschen verspüren schon Unbehagen, wenn sie bestimmte domestizierte Tiere essen. Mädchen kreischen sofort drauflos, wenn sie von Pferdesteak nur hören, und manchem erwachsenen Mann stehen Tränen in den Augen, wenn er erfährt, dass man in China Hunde isst. Es geht wahrhaftig um eine ganze Menge, wenn man darüber nachdenkt, dass man ein anderes Wesen schlachtet. Und darüber denken die Juden, vorsichtig ausgedrückt, viel nach.

Das Blut ist die Essenz des Lebens. Gott schenkt Leben, und Er nimmt es wieder. Deshalb dürfen Menschen kein Blut essen, meinen die Juden, und so muss man für koscheres Fleisch das Blut loswerden. Das ist der Grund, warum die Juden ihre Tiere seit jeher schächten. Sie legen sie mit dem Kopf nach unten hin und schneiden Kehle, Luftröhre und beide Arterien in einem Zug durch.

Ein Schochet ist ein sehr religiöser Mensch, der nach einer Prüfung von einem Rabbiner die Zulassung erhält, Tiere zu schlachten. Nach einem komplizierten schriftlichen Examen muss der jüdische Schlachter drei Probeschlachtungen vornehmen, die der Rabbiner sorgfältig beaufsichtigt. Diese drei Schlachtungen werden gemacht, weil nicht alle, die selig sind im Glauben, auch rein physisch in der Lage sind, ein Schaf hochzuheben, genau wie nicht alle frommen Juden eimerweise warmes Blut, Todesschreie zappelnder Tiere oder auf den Boden klatschende Eingeweide verkraften.

Der jüdische Schlachter ist eine ganze Ecke näher dran am Tier als seine nicht-jüdischen Kollegen. Zu den Aufgaben des Schochet gehört auch, das Tier auf Krankheiten zu untersuchen. Ein Schaf mit einem gebrochenen Bein oder einem Geschwür im Magen ist trefe und wird zurückgewiesen. Außerdem gehört es zu den Aufgaben des Schächters, sicherzustellen, dass die Schlachtung der Tiere so schnell und schmerzfrei wie möglich geschieht. Alle Messer zum Schächten werden vor jedem Schnitt untersucht, sodass man sicher sein kann, dass sie scharf sind und die Klingen keine Scharten aufweisen. Das Messer muss die Haut einer Kuh allein dadurch auftrennen können, dass der Schächter die Klinge über die Haut zieht, ohne sie fest aufzudrücken.

Schließlich gibt es noch zwei Regeln zu dem Schnitt selbst: Die erste lautet, dass man das Messer nicht in das Tier eindrücken darf, weshalb es irrsinnig scharf sein muss, die zweite, dass man in der Wunde nicht hin und her sägen darf. Ein guter Schächter zieht einen Schnitt – und das Tier stirbt. Das Fleisch gehört übrigens zu den Nahrungsmitteln, über die laufend eifrig diskutiert wird. Was ist koscher, was ist trefe? Gehört man zu den Hardcore-Vertretern, weigert man sich, das Fett rings um die Nieren des Rindes zu essen, mit der Begründung, dass es traditionell zur Herstellung von Tempellichtern verwendet wurde – ergo kann es nicht als Menschennahrung gemeint sein.

Einige Juden essen bestimmte Teile von Tieren nicht. Oft geht es um den Kampf Jakobs mit dem Engel. Der Engel fügt Jakob einen üblen Schmerz im Ischiasnerv zu, als er sagt: Dein Name sei Israel. Die Juden sehen das symbolisch, als habe der Engel Israel selbst angegriffen, also die Juden als Volk. Daran erinnern sich manche Juden durch die so genannte Ischias-Regel. Die besagt, dass alles vor dem Ischias-Nerv koscher ist, alles hinter dem Ischiasnerv dagegen trefe. Juden, die der Ischiasregel folgen, weisen das gesamte hintere Viertel des Rindes zurück.

Diese Regel trennt gleichzeitig die Aschkenasim, die sich von ehemals in Deutschland längs des Rheins lebenden Juden ableiten, von den sephardischen Juden, die von der jüdischen Gesellschaft auf der iberischen Halbinsel abstammen. Sephardische Juden essen das ganze Rind, Aschkenasim lehnen das Hinterteil ab. Deshalb muss der gute Schächter auch wissen, wo er sein Fleisch mit dem Koscher-Stempel kennzeichnet – der darf nicht am Hinterteil angebracht werden, weil manche Juden damit nicht einverstanden wären.

Das Schlachten der Tiere nehmen Juden nicht leicht, und so steht der Schlachter unter ständiger Beobachtung durch den Rabbiner – falls der Schächter seinen Beruf zu locker nimmt, kann ihm der Rabbiner durchaus die Zulassung entziehen. Seine Aufgabe nimmt einen zentralen Platz in der jüdischen Gesellschaft ein – nur ein Schochet ist in der Lage, das korrekte Gebet zu sprechen, während das Tier geschlachtet wird. Aus diesem Grund sind Schlachter und Rabbiner in sehr kleinen jüdischen Gemeinden oft dieselbe Person. Ein Beispiel ist der dänische Oberrabbiner in Kopenhagen, wo insgesamt zirka zweitausend Juden leben: Oberrabbiner Bent Lexner ist als Schächter ausgebildet – und für die Beschneidungen. Zur Geschichte des Schlachtens gehört auch die ewige Debatte, inwieweit Halal-Schlachten und jüdisches Schächten für das Tier schmerzhaft sind. Manche Juden sagen, ein Tier zu schlachten sei an sich brutal und bleibe es immer. Indem man für dieses furchtbare Tun ein Ritual hat, schenkt man ihm immerhin ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Das zumindest sei anders als in der säkularisierten Kultur, wo in The Meat Industry in Fabriken und oft unter schrecklichen Bedingungen geschlachtet wird, sodass die Kunden in Ohnmacht fielen, wenn sie wüssten, welcher Folter die Tiere dort ausgesetzt sind.

Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer hat vor kurzem ein Buch mit dem Titel Eating Animals veröffentlicht. Nachdem er sich darüber informiert hatte, wie in der modernen Gesellschaft Tiere getötet werden, wurde Foer zum Vegetarier. Er ist Jude, und als eine Art Spin-off zu seinem Buch hat er einen Film gedreht mit dem Titel If this is kosher. Der Film ist nichts für zarte Seelen. Er zeigt haarsträubende Bilder aus amerikanischen Koscher-Schlachtereien, wo die Tiere grauenhaft behandelt werden: Ein Rind wird festgeschnallt, bevor ihm der Hals durchgeschnitten wird, worauf es aus der Maschinerie wieder freigelassen wird, sodass es anschließend aus eigener Kraft weiter durch das Schlachthaus gehen kann – ein Tier mit durchtrennten Pulsadern, aus denen Kaskaden von Blut spritzen, und das wie ein betrunkener Seemann torkelt, während ihm dickflüssiges Blut aus dem Maul rinnt. Das ist kein schöner Anblick.

Dasselbe gilt für koscher produzierte Hühner, die, wenn sie während des Heranwachsens krank werden, durch einen anständigen Schlag mit einer alten Eisenstange getötet werden. Und krank werden sie! Ein Teil des Films zeigt komplett irrsinnige Szenarios von Vogelkadavern in rauen Mengen. Foers Pointe ist: Kosher ist ein religiöser Begriff – und nicht notwendigerweise ein Qualitätsmerkmal.

Wer immer noch meint, jüdisches Schlachten oder Halal-Schlachten sei problematischer als das, was in der Lebensmittelindustrie geschieht, sollte sich überlegen, ob er in London Curry essen geht. Ein großer Teil der indischen und pakistanischen Bevölkerung Londons sind Sikhs. Und Sikhs, wie auch andere Kriegerkasten in Indien und Pakistan, sagen selbst, dass sie »traditionell so schlachten wie sie kämpfen«. Die Tiere werden getötet, indem sie mit einem Schwert geköpft werden. Ob das in Southhall noch immer in dieser Form geschieht, davon berichtet die Geschichte allerdings nichts.

Ein weniger blutiges Kapitel der jüdischen Küche ist das Brot. Brot darf mit allem gegessen werden, so lange man alle Regeln der Kaschrut einhält. Die Juden haben uns sowohl Piroggen wie Mazze geschenkt. Brot wird auch in religiösen Zusammenhängen verwendet, und das nimmt man sehr ernst. Während des jüdischen Osterfests, zu Pesach, darf man zum Beispiel in keiner Form Weizen essen, es sei denn, als eine Art Keks, Mazzen genannt. Die werden ausschließlich aus Wasser und Mehl hergestellt, und das schon, seit unser Herrgott ein Junge war. Im Grunde sind sie nichts anderes als das ungesäuerte Brot der Bibel. Mazzen isst man zu Pesach – und viele Juden tun alles, um diese Regel einzuhalten.

Zum Beispiel Isidor Heppner: Am 9. November 1939 sah er sich beim Vorrücken der Nazis gezwungen, seine Mazzen-Fabrik in Breslau zu schließen. Isidor Heppner wurde bald darauf verhaftet und kam in ein Konzentrationslager, doch er bewahrte eine einzelne Mazze seiner Brotfabrik auf. Über mehrere Jahre im Konzentrationslager verwahrte er sie, bis er schließlich von den Nazis ermordet wurde. Doch durch das Eingreifen Gottes überlebte seine Mazze und wurde seinen Söhnen übergeben. Einer von ihnen hat sie dem jüdischen Museum gestiftet, wo sie in einer besonders gesicherten Vitrine hinter Plexiglas zu sehen ist.

Bei Bier und Wein haben die Juden Glück – dafür gibt es keine besonderen Verbote. Im Grunde dürfen sie einen heben, so oft sie wollen. Das tun sie vor allem in Osteuropa sehr gerne, und glücklicherweise ist Wodka immer koscher, weil er aus Getreide gebrannt ist. Die deutschen Juden haben auch viel Glück, weil deutsches Bier nach dem Reinheitsgebot gebraut wird, und es damit per Definition immer koscher ist. Im Bier aus anderen Ländern dagegen können immer Zusatzstoffe sein, wodurch sie eventuell trefe wären.

Bei Wein ist es ein wenig komplizierter: Juden dürfen nur Wein trinken, der nicht für die Praxis anderer Religionen gedacht ist. Hinter der Regel steckt die jüdische Erfahrung. Über die Jahrhunderte hat man versucht, Juden zu bekehren, insbesondere zum Christentum – die Missionare haben alle Tricks angewendet. Und wer lässt sich nicht von einem guten christlichem Altarwein verlocken? Gegen solche Verlockungen sichert man sich ganz einfach ab: indem man jüdischem Wein den Vorzug gibt.

Rechteinhaber: Jon Gilbert Leavitt (Flickr), Lizenzvereinbarung: Creative Commons Attribution 2.0 Germany License
Bei Schnitzi in Brooklyn gibt es Steak, Sandwiches, die famous Schnitzi sauce – und natürlich Schnitzel. Alles glatt kosher

Ein besonderes Glück der Juden ist, dass sie an einem Tag des Jahres sogar trinken sollen bis zum Limit, um die Kaschrut-Vorschriften einzuhalten – wenn Purim gefeiert wird. Zu Purim wird in der Synagoge die Ester-Rolle verlesen, jener Teil der Bibel, den die Christen das Buch Ester nennen. Die Ester-Rolle wird gleich zweimal gelesen, am Abend und am Tag. Und wenn der Vorleser zum Namen Haman kommt, bricht ohrenbetäubender Lärm los: die Leute trampeln lautstark oder schlagen auf die Tische.

Erst wenn in der Versammlung wieder Ruhe eingekehrt ist, wird weitergelesen. Doch wenn der Vorleser wieder zu Hamans Namen kommt, bricht der Lärm erneut los. So geht es immer weiter, bis die gesamte Geschichte von Ester, Mordechai und Haman vorgelesen ist. Und das ist ein ziemliches Ereignis, denn der Name Hamans wird etwa zwanzigmal ausgesprochen!

Die Geschichte von Ester ist sehr dramatisch. In Babylon lebte um 400 v. Chr. König Xerxes, dessen jüdische Frau Ester hieß. Irgendwann gedachte Haman, der oberste Minister im Perserreich, alle Juden zu töten, weil er eines Tages an einem Juden vorbeigekommen war, der sich nicht vor ihm verbeugen wollte. Für Juden ist verbeugen gleichbedeutend mit anbeten, und weil die Juden nur Gott anbeten dürfen, können sie sich auch vor einem Minister nicht verbeugen. Haman verleumdete also die Juden beim König und erhielt die Erlaubnis, seinen Plan auszuführen.

Er warf das Los, um das für die Verfolgung am besten geeignete Datum zu ermitteln – es wurde der 13. Adar. Also sandte er allen Beamten des Reiches den Befehl, am 13. Adar alle Juden zu ermorden und ihren Besitz zu konfiszieren. Doch Esters Onkel Mordechai brachte Ester dazu, beim König Fürbitte für die Juden einzulegen, auch wenn sie damit ihr eigenes Leben gefährdete. Nachdem sie mit dem König gesprochen hatte, verurteilte er Haman auf der Stelle zum Tode und machte Mordechai zum Minister. Und so wurden die Juden vor der Vernichtung gerettet.

Zur Erinnerung an diese Errettung feiern die Juden alljährlich am 14. und 15. Adar Purim – pur bedeutet im Hebräischen Los, wie in Auslosen. Und für die abendliche Festlichkeit zu Purim besagt eine alte Sitte, man solle solange Wein trinken, bis man nicht mehr zwischen den Sätzen Gesegnet sei Mordechai! und Verflucht sei Haman! unterscheiden könne. Purim ist ein großer Festtag für die ganze Familie: Die Erwachsenen sollen sich betrinken, und die Kinder können derweil einen Tag genießen, an dem ihre Eltern überhaupt keinen Überblick darüber haben, was für einen Unfug sie eigentlich treiben.

In der jüngeren Geschichte hat sich jüdisches Essen sehr verändert. Es gibt zum Beispiel dank der Existenz des Staates Israel eine völlig neue Küche, sowohl Hummus als auch Falafel stehen nun auf der Speisekarte. Die amerikanisch-jüdische Küche ist ebenfalls eine ganz eigene Nummer. In Brooklyn und Manhattan werden blintzes und matzoh balls serviert und natürlich die allgegenwärtigen bagels. Auch wenn die meisten Menschen sie als unverkennbar New York-isch ansehen, stammen sie doch ursprünglich aus Osteuropa.

Das Kennzeichen des wandernden Juden ist eben, dass er umherzieht. Die Juden waren zu allen Zeiten überall zu finden – jedenfalls bis ein Pogrom oder ein Völkermord sie zur Flucht zwang. Das spiegelt sich auch in den Koscher-Gesetzen, die sich recht leicht von Küche zu Küche übersetzen lassen. Es ist genauso leicht, in Malaysia Jude zu sein wie in Buenos Aires. Auch deshalb ließ sich Hummus in die jüdische Küche einverleiben, auch deshalb können die Juden in Deutschland alle Würste machen, die sie mögen. Sie machen sie eben aus Schaf oder Rind, statt aus Schwein. Und müssen dann nur noch daran denken, dass Sauerkraut mit Kulturen aus Milchsäurebakterien gemacht wird. Das muss der deutsche Jude mit seinem Gewissen ausmachen: ob eine solche Kultur soviel Milch ist, dass er eine Portion Sauerkraut leider ohne Wurst essen muss …

Reist man nach New York und nimmt dort ein Taxi zur Nummer 64 auf der 108th Street, was in Forest Hills liegt, kann man selbst in Augenschein nehmen, wie elegant sich die Koscher-Gesetze einhalten lassen. Hier findet man ein chinesisches Restaurant mit dem Namen Cho-sen Garden. In diesem authentischen Restaurant sind alle Gerichte durch und durch chinesisch – und zugleich durch und durch koscher. So kann ein Jude, der Lust auf Nudeln, Reis oder leckere Pekingente hat, dort seinen Hunger stillen. Er muss nur daran denken, dass er keine Milch in den Kaffee nimmt, wenn er gerade ein Gericht mit Rindfleisch hatte.

Text: Kristian Ditlev Jensen
Übersetzung: Sigrid Engeler
Fotos: Jon Gilbert Leavitt (Flickr/Creative Commons)

aus Effilee #10, Mai/Juni 2010

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  1. In der Katholischen Kirche gibt es keine Speisevorschriften. -Abgesehen davon, dass an Karfreitag und an Aschermittwoch gefastet werden soll.

    Natürlich mag es unter einer Milliarde Katholiken auch welche geben, die zu Weihnachten Fisch essen.

Aus Effilee #10, Mai/Jun 2010
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