Bei der nächsten Wurst wird alles anders

Peter Lau schreibt über die Currywurst

Wurst , Rechteinhaber: Thomas Herbrich, Lizenzvereinbarung: Nutzung nur auf Effilee
Das Bratwursthäuschen am Bochumer Engelbertbrunnen ist die bekannteste Currywurstbude im Ruhrgebiet. Hier entstanden in einer Nacht alle folgenden Fotos

Um dir auf den Kopf scheißen zu können, müssen sie dir erst in die Beine treten. Und das tun sie dann auch. Andreas Stier, den alle Eddy nennen, schon immer, schon als Kind, gehörte früher der Imbisswagen neben 1000 Töpfe. 1000 Töpfe, das ist ein verkramtes Elektrokaufhaus in einem Hamburger Industriegebiet, in dem sich die Millionäre aus den Elbvororten und die Reihenhausbesitzer aus dem Umland mit den Hipstern aus den Szenevierteln und den Hartz-IV-Empfängern aus den Hochhaussiedlungen treffen, um nicht nur Herde, Kühlschränke oder Lampen zu kaufen, sondern auch allerlei Schnickschnack, den keiner braucht, aber jeder gerne mitnimmt. Den Imbiss inklusive Standplatz hatte Eddy 1992 dem vorigen Besitzer, einem Alkoholiker, für 20?000 Mark abgekauft, und nach einiger Zeit lief er wie Bolle. »Ich hab’ sechs Tage die Woche gearbeitet, von morgens zehn bis abends acht. Es war immer nur arbeiten, schlafen, arbeiten, schlafen. Mehr war nicht drin. Aber dafür hat man gut verdient.« Bis irgendwann einer aus der Geschäftsführung mitbekam, dass der Laden eine Goldgrube war. Und Eddy der Platz gekündigt wurde. Einige Zeit stand der spiddelige 43-Jährige auf der anderen Straßenseite, direkt gegenüber von 1000 Töpfe, doch dann ging die Firma pleite, die ihm den Stellplatz dort vermietete, und so musste er die Straße weiter rauf ziehen, auf eine Fläche mitten im Nichts. »Das hier ist ganz klar der schlechteste Platz«, sagt Eddy heute. »Hier habe ich keine Laufkundschaft mehr, hier kommen wirklich nur noch Stammkunden.« Dass die ihm treu geblieben sind, liegt vermutlich auch an seiner Currywurst: Sie ist perfekt gegrillt und die warme Soße überraschend lecker. »Die mische ich selber, halb scharfer Ketchup von Hela und halb Delikatess-Ketchup. Und dann halte ich sie den ganzen Tag warm, dass sie gut durchzieht, wie eine Gulaschsuppe.«

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Das Imbiss-Wissen hat er sich am Anfang mühsam erarbeitet. »Ja, da hat man erst mal seine Erfahrungen gemacht beim Grillen, die Wurst ist nicht durch, die Wurst ist nicht heiß und so weiter. Das weiß man doch alles nicht, wie lange die Pommes reinmüssen oder die Wurst, dafür gibt es ja kein Kochbuch.« Die Würstchen sind von Salzbrenner, Eddy hat damals viele probiert und die schmeckten ihm am besten. Sein Currypulver mischt er selber, denn: »Qualität ist mir wichtig.« Damit möchte er sich auch von der Konkurrenz abheben.

Doch das alles nützt nichts, »ich kann davon nur leben, wenn meine Partnerin ebenfalls arbeitet.« Vor zwei Jahren war das Paar vier Tage in Dänemark, aber sonst steht Eddy immer in seinem Wagen, von Montag bis Freitag, bei null Ferien, »denn wenn ich zumache, gehen die Leute woanders hin.« Immerhin hat er zu Hause einen Garten, der ersetzt viel. In seinen alten Job kann er nicht zurück, Eddy war Reprofotograf, das gehörte früher zum Druckgewerbe, »und das gibt es nicht mehr seit Windows 95.« Und einen besseren Standort hat er auch noch nicht gefunden, obwohl er seit zwei Jahren intensiv sucht. »Wenn einer mit einem Imbiss kommt, denken alle immer gleich an Geruchsbelästigung und Dreck.« Aber was soll er machen? Irgendwie muss es weitergehen.

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Markus, genannt Gammel: „Ich war in Berlin und habe da eine Currywurst gegessen. Da dachte ich: Ich will zurück nach Bochum!“

So ist die Welt. Und das ist die Wahrheit über die Currywurst. Die Not stand schon an ihrer Wiege. Offiziell erfunden wurde sie von Hertha Heuwa, die erstmals am 4. September 1949 in ihrem Imbiss in Berlin-Charlottenburg eine Brühwurst mit einer Soße aus Tomatenmark, Currypulver, Worcestersauce und anderen Zutaten anbot. Berlin war eine zertrümmerte Stadt, viele Menschen lebten in Ruinen, und der Westteil war zudem noch die Frontstadt der freien Welt, vor deren Toren der Sozialismus dräute. Fast ein Jahr lang, vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949, hatten die Sowjets alle Straßen und Wasserwege blockiert, so dass Berlin nur noch über die legendäre Luftbrücke versorgt werden konnte, an die bis heute vor dem ehemaligen Flughafen Tempelhof ein Denkmal erinnert. Früher, als es die Berliner Schnauze noch gab, nannte man es die Hungerkralle. Und das mit dem Hunger, das war keine ironische Übertreibung.

Die Erfindung der Currywurst war nicht das Ergebnis von Simplify your Life oder Reduce to the Max. Sie entsprang dem Bemühen, in einem echten Engpass mit den vorhandenen Mitteln etwas Neues, Besonderes zu schaffen. Deshalb ist sie nicht mit dem Hamburger zu vergleichen, den McDonalds und Burger King in den 70er Jahren in Deutschland zu verbreiten begannen, nicht mit Döner, der ebenfalls in den 70ern und ebenfalls von Berlin aus Deutschland eroberte, oder all den anderen schnellen Happen aus aller Welt, die einst exotisch waren, heute jedoch ganz alltäglich sind. Denn das alles gehört zu einem anderen Deutschland, einem wohlhabenden Land, in dem es nicht mehr darum ging, satt zu werden, sondern darum, beim Essen etwas zu erleben. Die Currywurst dagegen stammt aus einer Zeit, in der richtige Menschen richtige Werkzeuge in ihre richtigen Hände nahmen, um richtige Dinge herzustellen, die wirklich dringend gebraucht wurden. Und das hängt ihr bis heute an.

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Tobias: „Das ist die beste Currywurst von der Welt!“

800 Millionen Currywürste essen die Deutschen angeblich pro Jahr. Die Zahl mag nicht ganz stimmen, sie geistert seit langem ohne Quellenangabe durch die Medien und könnte genausogut ausgedacht sein. Doch zumindest ist verbürgt, dass die Currywurst Deutschlands beliebtestes Kantinenessen ist – und damit ein Teil des Arbeitslebens. In dem bekanntesten Song über sie, Currywurst von Herbert Grönemeyer, heißt es passend: »Kommste vonne Schicht, wat schönret jibt et nich, als wie Currywurst …« Das Problem ist nur, dass mangels Arbeit oder geregelter Arbeitsverhältnisse immer weniger Menschen von der Schicht kommen. Beziehungsweise in eine Kantine gehen. Und was wird nun aus der Currywurst?

Das Hamburger Schanzenviertel ist ein ehemaliges Arbeiterquartier, noch bis 1989 fertigte dort Montblanc Füller. Heute residieren in der einstigen Produktionsstätte Agenturen und Internet-Firmen, um die Ecke wurden während des New-Economy-Booms Wohnblocks für künftige Web-Millionäre gebaut, die Schlachter, Fischläden und Gemüsehöker des Viertels wurden von Restaurants, Modegeschäften und Bars verdrängt, und dann wurde hier auch noch 2002 die so genannte Piazza eröffnet, inzwischen die populärste Kneipenmeile Hamburgs. Genau dort, an dem einen Ende dieses im Sommer total überfüllten Platzes, befindet sich der erste Standort von Schmitt Foxy Food, einer Imbisskette im Werden. Es ist der perfekte Ort für einen modernen Wurstgrill, doch es ist weder Zufall noch Planung, dass er sich dort befindet, es hat sich einfach so ergeben: Marc Pagel, einer der Betreiber, führte früher genau gegenüber eine Bar. Marc Pagel ist blond und stämmig, ganz vage erinnert er an den Schriftsteller und Musiker Sven Regener. Der 37-Jährige stammt aus Barmbek, einem Arbeiterbezirk im Osten der Stadt, und ist HSV-Fan, »na klar, schon aus Tradition.« Er parkt seinen Wagen, einen schicken neuen Fiat mit Firmenlogo, zwei Minuten vor unserem Termin direkt vor dem Imbiss, kommt dann aber doch etwas zu spät, weil er noch im Auto telefoniert. Auch während des Interviews klingelt sein Handy mehrfach – der Mann hat offensichtlich viel zu tun. Vor unserem Gespräch essen wir natürlich erst mal was: eine Currywurst und eine Bio-Bratwurst. Die Currywurst ist mittel, nicht besonders markant im Geschmack, und die Soße hat zu wenig Biss, die Bratwurst dagegen ist ganz ordentlich, kross, fest und würzig.

Die Würste, das erwähnt Pagel mehrfach, »werden exklusiv für uns produziert.« Stolz erzählt er, wie sich die Foxy-Food-Gründer mit dem Hersteller ihrer Wurst getroffen haben, um ihm zu erklären, wie sie sich ihre Produkte vorstellen, die Konsistenz, den Geschmack, das Bräunungsverhalten. Diese Entwicklungsphase sei auch noch nicht abgeschlossen, »da sind wir noch für ein paar Überraschungen gut.« Pagel ist für die kulinarische Seite des Unternehmens verantwortlich, denn er kommt aus der Branche, nicht direkt aus der Küche, er hat Restaurantfachmann gelernt, aber damit ist er dem Entwickeln von Rezepten immer noch näher als die anderen drei Gründer, die vorher alle in Werbung und Marketing tätig waren.

Deren Arbeit ist nicht zu übersehen: Das Foxy-Food-Logo ist knallig und auch von weitem gut zu erkennen, die Slogans sind mindestens so witzig wie Mario Barth (»Das kann ich dir nur braten!«; »Natural Born Grillers«) und die Namen der Produkte sind, tja, interessant: Die Currywurst heißt bei Foxy Food Wuchtbrumme, Pommes werden Grill Gold genannt und Kartoffelsalat Ackerperle. Mir wäre es peinlich, eine Wuchtbrumme zu bestellen, aber vermutlich bin ich nur zu verklemmt für das große Schmitteinander.

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Frau Grumm: „Hier gibt´s Currywurst, Bratwurst und Bockwurst, sonst nix. Und Bockwurst ist heute aus.“

Aber es geht sowieso nicht um Wortspiele – sondern um die Wurst. »Wenn ich einen Imbiss eröffne, muss ich mich fragen: Was ist mein Alleinstellungsmerkmal?« Pagel schaut seinem Gegenüber in die Augen, als habe er dort gerade das Licht erblickt. »Ich meine, in einem normalen Imbiss bekomme ich eine Wurst, die ich überall kaufen kann. Bei Wein würde sich das keiner trauen. Niemand serviert im Restaurant einen Wein, den es auch nebenan im Supermarkt gibt.« Eben deshalb haben sie eigene Produkte entwickelt. Und genau aus diesem Grund wird Foxy Food ein Erfolg, ach was, es ist doch schon einer: In Hamburg gibt es bereits drei Standorte, von denen zwei von Franchise-Partnern betrieben werden, ein vierter wird im Sommer in der Innenstadt eröffnen. Außerdem stehen in diesem Jahr noch Filialen in Lüneburg und Ulm an; mit weiteren Franchise-Partnern sind sie in Verhandlungen.

Mit seinem Franchise-Konzept liegt Schmitt Foxy Food gleich doppelt im Trend: als Currywurst-Kette und als Franchiser. Für den Kleinunternehmer mit einer großen Idee ist Franchising ein scheinbar simpler Weg zum globalen Imperium: Man entwickelt ein Geschäft inklusive Marke, Produkten, Strategie und Design, sucht Partner, die es an verschiedenen Standorten umsetzen und bekommt dafür von denen regelmäßig Gebühren. Im Fastfood-Bereich ist Franchising sehr verbreitet, McDonalds ist ebenso ein Franchiser wie Subway. Bei diesen Riesen funktioniert auch die Marketing-Idee hinter Franchising: dass junge Unternehmer den Glanz einer eingeführten Marke für sich nutzen. Für die Franchise-Nehmer ist theoretisch alles geregelt, von den Öffnungszeiten über die Werbung bis zu den Preisen, und so lockt Franchising auch Menschen, die sich eher nicht als Unternehmer sehen. Das kann für beide Seiten bestens funktionieren, solange die Geschäfte gut laufen. Laufen sie nicht, steht allerdings manchmal nur der Franchise-Nehmer dumm da: Seine Franchise-Gebühren sind meist festgelegt, oft muss er Kredite für die Grundausstattung zurückzahlen, und manchmal ist er auch noch verpflichtet, eine bestimmte Menge an Produkten abzunehmen, selbst wenn er sie nicht verkaufen kann. Die Mutterfirma dagegen ist, wenn es hart auf hart kommt, zumindest kurzfristig auf der sicheren Seite. Das hat sich mittlerweile herumgesprochen, und so werden überall neue Franchise-Ideen ausgebrütet.

Wie sieht das Foxy-Food-Konzept aus? »Wir verstehen Franchising als Teamsport«, sagt Pagel. »Jeder Standort ist anders, jeder Mensch ist anders, und man kann nicht davon ausgehen, dass jeder so funktioniert, wie du es dir vorstellst.« Aber die Produkte seien selbstverständlich in allen Filialen gleich, genau wie das Design. Und dann kommt der Hamburger richtig in Fahrt, als triebe ihn der Erfolg geradezu vor sich her, auch das Catering laufe hervorragend, überhaupt seien die Veranstaltungen ihr zweites Standbein, da werde man ebenfalls expandieren. Irgendwann fällt sogar das Wort Generationswechsel. Nur über die Kollegen möchte er »aus verständlichen Gründen« nichts sagen, selbstverständlich seien sie auf diesem Markt nicht alleine, aber … Er bemüht für sie nicht mal das Wort Konkurrenz. Er sagt: Marktbegleiter.

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Otto: „Ich bin Stammkunde hier“

An denen herrscht in der Tat kein Mangel, zudem werden laufend neue Currywurst-Buden eröffnet, denn, wie es in den Medien heißt: Currywurst liegt im Trend. Was natürlich Quatsch ist, denn so beliebt, wie sie nun mal ist, liegt die Currywurst weit jenseits jeden Trends. Tatsächlich im Trend liegt allerdings eine neue Variante: Edelcurry. Das hat wohl auch mit einer in den vergangenen Jahren populärer werdenden These zur Zukunft des Essens zu tun: Weil die Menschen einerseits immer mehr auf ihre Ernährung achten und es immer besser schmecken soll, sie andererseits aber immer weniger Zeit zum Essen haben, wird hochwertiges Fastfood immer populärer werden. Schnell und gut ist angeblich ein Megatrend. Und das reiche Hamburg mit seinen schnellen Branchen Medien, Werbung und Internet ein naheliegendes Versuchsfeld für entsprechende Angebote. Dort gibt es sogar ein, ja, man muss es wohl so nennen, Currywurst-Restaurant namens Edelcurry, wo es all das gibt, was man sonst in einer Wurstbude bekommt, durchaus auch genauso schnell, nur dass es eben von Kellnern auf Porzellantellern serviert wird, und, sowieso, alles beste Qualität hat – jedenfalls laut Eigenwerbung. Zu den Würsten, die nach eigenem Rezept exklusiv für Edelcurry hergestellt werden, gibt es Soßen wie Aioli, Erdnuss oder Honig-Senf, und der Besitzer, ein ehemaliger Fitnessstudio-Betreiber, bietet sogar was Gesundes an, frische Salate, ein echter Fortschritt. Außerdem behauptet er stolz, dass die Pommes dank spezieller Fritteusen weniger fett seien. Die Currywurst ist wirklich sehr lecker, fest und ein wenig rauchig, die Soße (klassisch) allerdings nur okay, süßlich-scharf, aber etwas langweilig.

Das Edelcurry liegt mitten in der Hamburger City, falls man also schnell was zum Überziehen braucht, weil es überraschend kalt geworden ist, befinden sich Shops von Prada, Gucci oder Akris in Laufweite. Damit ist die Lage des Restaurants etwas überrissen, folgt aber grundsätzlich dem Trend: Alle neuen Currywurst-Lokale liegen in teuren Vierteln, in denen vom Bioladen bis zum Sushi-Imbiss nichts fehlt. Und alle sind absolutely fabulous, aber irgendwie auch totally crazy.

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Daniel: „Die Atmosphäre hier im Bermudadreieck spielt auch ´ne Rolle“

Am weitesten geht die Currywurst-Company in Hamburg Winterhude, die, was sonst, erste Filiale einer kommenden Imbisskette eines ehemaligen IT-Managers, in der es eine Currywurst mit echtem Goldstaub, Pommes und einem Fläschchen Champagner als Menü für rund 25 Euro gibt. Das ist ein steiles Angebot für einen Laden, der wie eine Burger-King-Filiale aussieht und wo die Würste auch so schmecken, aber wer weiß, was an diesem Standort alles geht: Im Sonnenstudio gegenüber gibt es Bräunungsduschen und der Eisladen nebenan heißt Enjoy it. Der Wohlstand ist ein merkwürdiger Tanz.

Schwerverdiener wohnen in alten Fabriketagen, sie kaufen derbe, benutzt wirkende Kleidung und grobe Arbeiterschuhe, zeigen sich gegenseitig ihre Tattoos in Restaurants, in denen verrostete Werkzeuge an unverputzten Backsteinwänden hängen, sie gehen zum Boxen und essen nun also auch Currywurst. Und das tun sie selbstverständlich nicht in einer dieser ranzigen Butzen, wo es weiß Gott was für Würste gibt, die Hygiene fragwürdig ist, die Verkäufer mürrisch gucken und sie ein Penner anhauchen könnte, sondern in schönen, modernen, sauberen Marken-Imbissen, in denen auf Qualität geachtet wird, wo es gut schmeckt und wo auch etwas Raum ist für die Ironie der Situation, wie sie da eine Currywurst essen, obwohl sie sich doch genauso Austern leisten könnten. Danach gehen sie vielleicht noch ins Theater, wo sie eine Hiphop-Oper aus einer brasilianischen Favela sehen, oder sie schauen sich im Kino ein schönes Märchen aus einem indischen Slum an, bis der Abend schließlich bei einem guten Glas Wein und einem ebensolchen Gespräch ausklingt. Na und? Hat jemand eine bessere Idee?

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Bärbel und Ulla: „Ich komme schon seit fünfzig Jahren her, ich bin schon mit meinem Vater hergekommen, egal ob es stürmte oder schneite“

Ein Currywurst-Museum wird im August in Berlin eröffnet, nicht weit entfernt vom Checkpoint Charlie, wo in einem Museum der Mauer gedacht wird, und das passt doch bestens, denn die DDR ist schließlich eine weitere Welt, die schon so lange verschwunden ist, dass man sie prima idealisieren und ihr hinterhertrauern kann. Wobei die Welt der Currywurst natürlich in Wirklichkeit gar nicht verschwunden ist, vergessene Menschen in vergessenen Vierteln werden auch weiterhin ihre Wurst bei Kalle oder Schorsch bestellen, der immer, Tag und Nacht, hinter dem Grill steht, aber von der Mitte oder zumindest dem Mittelstand unserer Gesellschaft ist dieses Leben inzwischen weiter entfernt als jede abwegige Religion aus Ostasien.

Man kann sich vorstellen, wie dieses Museum aussehen wird. Natürlich wird es Informationen geben über die Geschichte der Currywurst und ihre Varianten, gepökelt oder geräuchert, mit (Hamburg) oder ohne Pelle (Berlin), doch das wird nicht reichen, das gibt zu wenig her. Also werden dort Fotos hängen in körnigem Schwarzweiß, von Männern mit verschmierten Gesichtern, die kernig in die Kamera gucken, als könnten sie kräftig zupacken und -beißen. Und vielleicht sind die noch gar nicht tot, vielleicht stehen die immer noch an irgendeinem Tresen, einen Pappteller vor sich, einen Pieker in der Hand und im Mundwinkel etwas Ketchup, aber von Berlin Mitte aus ist das schwer zu sagen.

Doch es gibt noch eine andere Zukunft der Currywurst. Sechs Busstationen westlich der Currywurst-Company befindet sich in Eppendorf, einem weiteren Hamburger Wohlstandsghetto, noch ein Edel-Imbiss: die Curry Queen. Dort geht es nicht um Stil, Ironie oder Arbeiternostalgie, nicht mal um einen schnellen Euro, obwohl es auch hier Franchising-Pläne gibt. Doch nach dem ersten Bissen ist klar: Hier steht das Essen im Mittelpunkt. Für die leckere Currywurst sind sechs Sorten Currypulver im Angebot, gemischt vom Gewürzpapst Ingo Holland, die zarte vegetarische Version wird aus Halloumi gemacht, es gibt eine angenehm bissfeste Bisonwurst und eine sehr kräftige Pata Negra aus schwarzem Iberico-Schwein. Dazu gibt es üppige Salate, Kartoffelsalat in einer klassischen sowie einer geschmeidig würzigen Wasabi-Version und guten Wein, unter anderem vom Gut des ehemaligen Yello-Sängers Dieter Meier – die Betreiber, zwei leidenschaftliche Hobbyköche, waren früher in der Musikindustrie tätig. Es ist ein sympathischer Ort mit freundlichen Menschen – und er ist nicht alleine.

Acht Busstationen östlich der Curry Queen, in einer nicht mehr ganz so schicken Nebenstraße, versteckt sich ein ähnlicher Imbiss: die Curry-Pirates. Hier arbeitet Michael Weißenbruch, Gastronom in dritter Generation, der früher im Hamburger A Table und später im Clasenhof Gourmet-Küche kochte, bis er sein Restaurant Ende 2007 kurzerhand an einen Nachfolger übergab und sich an seine persönliche Entdeckung der Currywurst machte. Weißenbruch hat seitdem stark abgenommen, 15 Kilo, wie er selber erzählt, und auch sonst hat ihm der Wechsel gutgetan – schon allein wegen der Musik: Im Clasenhof plätscherte passend zur Klientel stets Soft-Jazz, aber »das ging mir so auf den Geist, dieses Gedudel.« Für den Imbiss hat er seine Plattensammlung digitalisiert, vor allem Punk und New Wave. An der Wand hängen die Cover zwei seiner Lieblingsplatten aus den späten 70ern, von XTC und The Clash. Anfang der 80er Jahre hatte er auch mal selber eine Band, Toleranzgrenze, aber die hat es nicht geschafft.

Der Hauptgrund für den Wechsel war für Weißenbruch die Perspektivlosigkeit. »Ich stand am Herd und dachte: Wie soll das weitergehen? Soll ich hier stehen, bis man mich rausträgt? Das ist das Alter. Da merkst du, du musst noch mal was Neues machen.« Und das war genau richtig. »Jetzt ist es mehr Arbeit, aber dafür weniger Stress. Und auf lange Sicht kann ich mich auf die Rezepte konzentrieren.« Natürlich hat auch der 47-Jährige die üblichen Argumente drauf: Von Flensburg bis Freiburg schmeckt alles gleich, wird alles lieblos gemacht, die gängigsten Sorten seien doch »Warme, Kalte und Aufgeplatzte.« Also: Neue Würste braucht das Land.

Und dafür sei er der richtige Mann. »Ich habe schon im Clasenhof Wurst gemacht. Ich habe eine ganze Schublade voll Rezepte, da brauche ich mich nur zu bedienen.« Folgerichtig macht er alles selber, die Soßen wie die Würste, die Blutwurst mit Cider-Äpfeln, Hamburger Weißwurst mit Lachskaviar und seine Currywurst mit Aprikosen, die wirklich super ist, eine grandiose Aromenexplosion. Kein Wunder, dass sie für 80 Prozent des Umsatzes sorgt.

Rechteinhaber: Thomas Herbrich, Lizenzvereinbarung: Nutzung nur auf Effilee
Christoph: „Ich komme gerade aus dem Flieger, ich bin aus Bochum weggezogen. Das Erste, was ich hier mache: Eine Currywurst essen, doppelte Portion“

Auch Weißenbruch will franchisen, aber es ist nicht ganz klar, ob er die Idee von Anfang an hatte oder ob sie ihm erst später kam. Während unseres Gesprächs wirkt er jedenfalls erfreulich marketingfern, nicht ein einziges Mal fallen Begriffe wie Kult, Trend oder Mythos. An einer Stelle sagt er: »Die Currywurst ist klassenlos, die isst jeder, so wie jeder Golf fährt.« Ansonsten geht es ihm um die Wurst als Nahrungsmittel, nicht als Bedeutungsträger. Da ist er der Curry Queen nahe, und vielleicht ist das die beste Zukunft, die die Currywurst haben kann: vom einfachen Arbeiteressen zur ehrlichen Handwerkskunst.

Aber wollen das die Menschen überhaupt? Doch, sagt Weißenbruch, »das Angebot kommt erstaunlich gut an.« Und das gilt nicht nur für die Currywurst. »Das ist schon witzig. Die Leute kommen rein und kennen sich aus, weil die doch dauernd verreisen. Die haben alle schon mal eine Merguez gegessen oder Salsiccia. Da sagt dann auch mal einer, die habe ich woanders mit mehr Fenchel gegessen, das hat mir besser geschmeckt. Und das ist gut so. Denn die Leute sind doch nicht blöd.«

Meine Meinung …

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