Was hat Adson von Melk mit einer Volkshochschule, in diesem Fall mit der Løgumkloster Højskole in Sønderjylland zu tun? Er, ein junger Novize, dessen Leben ausschließlich dem Gebet und Büchern und Sprache geweiht ist … Eine ganze Menge, wie es scheint.
Der Name Løgumkloster bedeutet ›von Wasser umgebenes Kloster‹, oder vielleicht besser ›das Kloster im Sumpf‹, wobei Sumpf eigentlich auch nur Feuchtgebiet meint. Das Kloster in der kleinen, nach ihm benannten Provinzstadt, also ebenfalls Løgumkloster, wurde von Zisterziensermönchen errichtet, die bereits in Schweden ein großes Kloster hatten und nach einem passenden Ort suchten, an dem sie ein neues bauen konnten. Sie benötigten Wasser, um ihrer Beschäftigung nachzugehen - hauptsächlich für Wassermühlen, aber auch um Bier zu brauen, Brot zu backen und Wäsche zu waschen. Im Dänischen ist Samstag nicht wie im Deutschen nach Saturn benannt, sondern heißt Lørdag - was so viel heißt wie Waschtag, der Tag, an dem man sein wöchentliches Bad nimmt oder vielleicht die Wäsche wäscht. Und das lø in Løgum bedeutet ›Wasser‹.
Die Mönche waren glücklich und froh, als sie sich 1173 hier niederließen. Für sie war der Ort die Stätte Gottes und fortan nannten sie ihn in all ihren Dokumenten nur noch Locus Dei. ›Das Kloster mit überall Wasser drum herum‹ wäre also vielleicht die treffendste Übersetzung, wenngleich auch ›das Kloster im platten Land‹ eine Option wäre.
Um sich von den reichen Benediktinern abzugrenzen, verschrieben sich die Zisterzienser voll und ganz der Armut. Hier kommt nun auch Adson von Melk, eine der Hauptfiguren in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose, ins Spiel. Während dessen Heimatkloster Stift Melk in Österreich in buchstäblich herausragender, wenn nicht gar stolzer Lage auf einem Hügel thront - wie man von der Autobahn A1 auf dem Weg von München nach Wien sehen kann -, bevorzugten seine zisterziensischen Glaubensbrüder stets niedrigeres Bauland. Sümpfe, Täler oder, wie beim Løgumkloster, tief gelegenes Marschland.
Der Alltag der Mönche vor tausend Jahren war hart. Die Laienbrüder arbeiteten den ganzen Tag, auf den Feldern und vor allem in der Klosterbäckerei, während die geweihten Mönche lasen, übersetzten und beteten. Das Motto zisterziensischer Klöster lautet nicht von ungefähr Ora et Labora, bete und arbeite.
Heute, fast tausend Jahre später, macht der kleine Ort einen verschlafenen Eindruck. Das Kloster ist eine kleine Ruine, aber die Kirche, die hundert Jahre später erbaut wurde, gilt als herausragendes Beispiel mittelalterlicher skandinavischer Sakralarchitektur. Und gleich hinter dem Feld und den Bächen, die die Wassermühlen antrieben, befindet sich die Løgumkloster Højskole, eine von 79 in Dänemark.
Die Hintergründe der Einrichtung Højskole sind so theologisch wie die Højskole selbst es nicht ist. Alles begann mit Martin Luther. Dessen Lehre bekam solchen Schwung, dass sie sich in alle Himmelsrichtungen verbreitete und sogar den hohen Norden erreichte. Der deutsche Kirchenreformer hasste das geweihte Räucherwerk der katholischen Kirche und ihre ausgedachten Rituale und forderte die Priester auf, ad fontes zu gehen - zurück zu den Quellen. Leider nur führte das zu einem recht unduldsamen Christentum. Der in Deutschland als Reaktion darauf erwachsende Pietismus verlangte, Religion solle vom Herzen kommen und inbrünstig sein. Als nun aber in Dänemark Christen anfingen, in religiöse Trancen zu fallen und wild zu schreien und die Liebe zum Nächsten allzu wörtlich zu nehmen, hatten ihre fundamentalistischeren Glaubensbrüder die Nase voll. Sie riefen die Innere Mission Dänemarks ins Leben - eine Kirchenvereinigung mit dem Ziel, die Dänen von der Einhaltung moralischer Regeln zu überzeugen. Heuchelei der übelsten Sorte war die Folge. Und das war dann der Zeitpunkt, als die heutige Folkekirken, die Dänische Volkskirche gegründet wurde.
Die zentrale Figur dahinter war der dänische Priester Nikolai Frederik Severin Grundtvig, dem eine Art glückliches, nordisches, aufgeschlossenes Christentum in Symbiose mit der altnordischen Mythologie vorschwebte. In der Kirche, meinte er, sollte es nur zwei Sakramente geben: Zwingend war die Taufe, und ab und zu sollte man am Abendmahl teilnehmen. Ansonsten sollte die Gemeinde eigenständig ihren Weg finden, bestimmt von Moral, Verstand, Liebe, Klugheit, sozialer Verantwortung und dergleichen, um ein gutes, sinnvolles Leben zu leben. Dafür müssten die Menschen in der Freizeit aktiv an ihrer persönlichen Entwicklung arbeiten. Dies, so Grundtvig, ließe sich erreichen, wenn man sich die Zeit nähme und in gänzlich neuer Umgebung die eigenen Fähigkeiten weiter vertiefen und ausbauen würde. Eine Woche, ein Monat, oder vielleicht sogar sechs in einer Højskole würden jeden zu einem besseren Menschen machen - schon einfach deshalb, weil sie ihr eigenes Können, ihre Fähigkeiten und damit ihr eigenes Sein stärken würden.
Seither strömen Scharen von Dänen in die Højskoler, um neue Menschen kennenzulernen, Bier zu trinken oder eine kurze Affäre zu haben - um nur ein paar Dinge zu nennen, die man dort tun kann. In der Hauptsache geht es aber darum, sozial zu sein - und neue Dinge zu lernen. Viele Højskoler folgen deshalb einem Thema: Es gibt eine Jazzhøjskole und eine Sportshøjskole, eine Højskole, in der deutsche Kultur nähergebracht wird, und eine Højskole für junge Menschen, die auf Menschen aus allen möglichen Ländern der Welt treffen möchten.
Die Løgumkloster Højskole war früher eine Bibelhøjskole, ein Ort, an dem Menschen zusammenkamen, die die Bibel studieren wollten. Das Programm der Højskole neben dem Zisterzienserkloster hat sich inzwischen gewandelt. Die Kirche im Hintergrund ist nur noch hübsche Kulisse. Heute kann man hier satanistische Filme sehen und Death Metal hören, sofern man darin einen Nutzen fürs eigene Potenzial zu sehen glaubt.
Die Schule setzt auf Vielfalt. In den Langkursen, die sich über sechs Monate erstrecken, kann man Menschen aus ehemaligen osteuropäischen Staaten treffen, die Englisch lernen und sich mit der dänischen Kultur vertraut machen wollen. Ein paar Katholiken sind da, einige Protestanten, jede Menge nicht sehr christliche dänische Jugendliche, ein, zwei Muslime und eine Handvoll Hardcore-Atheisten. Alle mit dem simplen Wunsch, etwas Neues über das Leben zu lernen. Die Kurzkurse - normalerweise nicht länger als eine Woche - werden bevorzugt von nicht mehr ganz so jungen und älteren Menschen belegt. Sie bereiten sich hier auf eine Reise vor, vielleicht einen Urlaub auf Malta, oder lernen einfach etwas über Dinge, die sie interessieren - etwa Psalmen, Malerei, kreatives Schreiben oder Literatur. Manche könnten die Schule gar als versierte Pianisten verlassen. Andere haben hier vielleicht Freundschaften geschlossen, zu denen es sonst nie gekommen wäre. Und wieder andere könnten plötzlich erkannt haben, was Demokratie wirklich bedeutet.
Grundtvigs Grundideen - die Überwindung von Klassen, Altersunterschieden, Glaubenssystemen und politischen Differenzen - gehen in einem lebendigen, wissensdurstigen Schulalltag auf. Und dann gibt es noch bestimmte Gepflogenheiten, die als Højskole-Sitten gelten. Bier, vorzugsweise Tuborg, das bei Dänen aus irgendeinem Grund als kultivierter gilt, trinkt man aus der Flasche. Will man jemandem etwas reichen, etwa Brot, dann darf man dafür die Finger benutzen. Und die vielleicht berühmteste Højskole-Tradition: Der Tisch wird abgeräumt, indem man die Teller aufeinanderstapelt und an den Nachbarn weiterreicht. In einigen Højskoler können diese Tellertürme am Ende des Tisches waghalsig hoch sein.
Nach dem Abendessen wird aus dem speziellen Højskole-Liederbuch gesungen - einer Art Psalmbuch, nur mit profaneren Liedern über die Jahreszeiten, Liebe und das Leben allgemein. Eines der bekanntesten heißt Svantes lykkelige dag (Svantes glücklicher Tag) und stammt vom dänischen Nationaldichter Benny Andersen. Das Lied resümiert fröhlich, wie schön das Leben sein kann, selbst - oder ganz besonders - wenn man sich nur auf den Alltag konzentriert, auf die greifbaren Dinge und auf das, an das man aus innerstem Herzen glaubt, also etwa an die Liebe.
Text: Kristian Ditlev Jensen Fotos: Kennet Havgaard Übersetzung: Thomas Rach
Meine Meinung …Aus Effilee #25, Sommer 2013