Das ist ja süß!

Kein Geschmack ist so positiv besetzt, wie das Süße. Kleine Tiere, Küsse, die oder der Liebste, Kinderaugen, alles, was uns ohne größere Umwege ans Herz geht, finden wir süß. Grund genug, den Zucker mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen

Wenn wir Zucker sagen, meinen wir meist Saccharose, auch bekannt als Rohr- oder Rübenzucker. Saccharose ist ein sogenannter Zweifachzucker, der aus der Verbindung von zwei Einfachzuckern entsteht: Glucose (bekannt als Traubenzucker) und Fructose (Fruchtzucker). Alle drei gehören zu den Kohlehydraten, den Begriff hat man schon mal gehört. Ein- und Zweifachzucker sind vom Organismus relativ leicht abzubauen und stellen schnell viel Energie zur Verfügung. In der Wildnis war das erstrebenswert, deshalb hat die Natur es so eingerichtet, dass wir den Geschmack dieser Stoffe als äußerst angenehm empfinden und nicht genug davon bekommen können.

Folgerichtig ist der Zucker auch der Dreh- und Angelpunkt aller Desserts, denn beim Dessert geht es ja genau darum, nicht genug haben zu wollen, sondern sich noch einen Gang zu gönnen, der eigentlich wirklich nicht mehr nötig wäre.
Auch das Kind im Mann schreit vernehmlich nach Zucker, allerdings nicht nur wegen des süßen Geschmacks: Seine chemischen Eigenschaften, für deren Bändigung hochtechnische Spielzeuge wie Bohrmaschinen, Bunsenbrenner und Digitalthermometer nötig sind, machen ihn spannender als jede Carrerabahn. Vorsicht ist allerdings geboten, Zucker wird sehr heiß, bis fast 200 Grad und klebt auf der Haut, von den Verbrennungen hat man länger was. Daher dürfen Auszubildende auch erst im zweiten Lehrjahr beim Zuckerkochen mitmachen.
Gewöhnlicher Zucker schmilzt bei etwa 135 Grad und ist dann zunächst noch farblos. Erst bei etwas höheren Temperaturen, ab etwa 150 Grad, fängt er an, zu bräunen. Chemisch handelt es sich dabei um Pyrolyse, damit bezeichnet man den Vorgang, wenn organisches Material unter Wärmeeinwirkung zersetzt wird, ohne dass es oxidiert. Die Karamellisation ist ein komplizierter Prozess, der bislang nur wenig erforscht ist. Jedenfalls wird aus dem eher eindimensional süßen Zucker ein hochkomplexes aromatisches Produkt. Vor allem nimmt auch die Süßkraft ab, je dunkler der Karamell wird. Die Karamellisation ist nicht zu verwechseln mit der Maillard-Reaktion, die wir vom Bräunen von Fleisch her kennen. Die findet nur statt, wenn Eiweißmoleküle im Spiel sind, bei der Zubereitung von Sahnekaramellbonbons zum Beispiel. Brauner Zucker, wie man ihn im Handel kaufen kann, hat übrigens mit Karamell nichts zu tun, die braune Farbe stammt von Pflanzenresten.
Normalerweise wird Karamell gekocht, das heißt, Zucker wird in (relativ wenig) Wasser aufgelöst und so lange erhitzt, bis das meiste davon verdunstet ist. Man kann den Zucker zwar auch direkt in der Pfanne schmelzen, dann ist es aber wesentlich schwieriger, die richtige Temperatur zu treffen.
Glücklicherweise ist es so: Je heißer es ist, desto mehr Zucker kann im Wasser gelöst werden. Und gleichzeitig steigt der Siedepunkt der süßen Lösung, je konzentrierter sie ist. Interessant wird es, wenn die Lösung wieder abkühlt. Jetzt ist nämlich mehr Zucker im Wasser gelöst, als eigentlich geht. Die Lösung ist nicht mehr gesättigt, sie ist übersättigt. Jetzt hat der Zucker die Tendenz, zu kristallisieren, was in den meisten Fällen nicht erwünscht ist. Ob und wie das passiert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum Beispiel können Verunreinigungen aller Art als Kristallisationspunkte dienen. Auch am Topfrand setzen sich gern Zuckerkristalle ab, die man am besten mit einem feuchten Pinsel abwäscht. Der häufigste Fehler ist, den Karamell umzurühren. Das führt nämlich dazu, dass die Lösung stellenweise stark abkühlt und der schöne klare Karamell zu graubraunen Bröckchen zusammenklumpt.
In den meisten Fällen möchte man, dass der flüssige Zucker wie Glas erstarrt. Man erreicht das, indem man den geschmolzenen Zucker so schnell abkühlen lässt, dass die Moleküle gar keine Zeit haben, sich zu Kristallen zusammenzufinden. Indem man ihn auf eine kalte Marmorplatte gießt zum Beispiel. Oder man sorgt durch die Zugabe von anderen Stoffen dafür, dass die Kristallisation erschwert wird, etwa durch Sahne bei Karamellbonbons oder durch andere Zuckerarten, die weniger zur Kristallisation neigen, Isomalt zum Beispiel oder Glucose, die weniger leicht kristallisieren.
Ein Produkt, das man da einsetzen kann, wo Zuckerkristalle stören würden, kann man ganz leicht selbst herstellen: Invertzucker. Dafür muss man lediglich die beiden Einfachzucker, aus denen der Haushaltszucker besteht, voneinander trennen, dafür muss der Zucker mit etwas Wasser und etwas Säure, zum Beispiel Vitamin-C-Pulver erhitzt werden. Anschließend gibt man etwas doppeltkohlensaures Natron zu, um die Säure zu neutralisieren. Das Ergebnis ist ein gelber Sirup, der auch deutlich anders schmeckt als normaler Zucker. In der DDR stand dieser Saft auf nahezu jedem Frühstückstisch: als Kunsthonig.

Text: Vijay Sapre
Rezepte: Mario Michaelis
Fotos: Andrea Thode

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