Einfach mal die Klappe halten!

Wo bin ich eigentlich, im Restaurant oder auf der Schulbank? Ist es wirklich nötig, jeden Klecks auf dem Teller einzeln zu erklären? Von Vijay Sapre

Früher ging man gut essen, wenn man einen Anlass hatte. Einen Hochzeitstag, Geburtstag, ein einzufädelndes oder ein erfolgreich abgeschlossenes Geschäft. Das Restaurant war ein besonderer Ort, aber einer mitten im Leben. Heute gibt es immer mehr Restaurants, die man für solche Anlässe nur noch sehr bedingt empfehlen kann. Man stelle sich nur das Paar vor, das sich nach 20 Jahren Ehe gegenübersitzt, die letzten drei Jahre hatte man nicht so viel miteinander geredet, aber jetzt erinnern beide sich daran, wie es damals war, die erste gemeinsame Reise, als es nach Paris gehen sollte, aber das Auto in Osnabrück zusammenbrach, sie schon schwanger, hatte es ihm aber noch nicht gesagt. Und man blickt sich in die Augen und ist gerade dabei etwas lang Vergessenes wiederzufinden, da kommt räuspernd der erste Gang:

»Für Sie, meine Dame, haben wir einen Gang, da hat unser Koch sich etwas ganz Besonderes überlegt, die ›Meeresbrise‹. Ganz links finden Sie unsere Gillardeau-Auster, das ist die beste Qualität, ›Spéciale de Claire‹, die werden für Sie ganz leicht im eigenen Saft anpochiert. Daneben, das Grüne, da haben wir für Sie Queller, eine Alge, die …«
»Und für Sie, mein Herr, haben wir unsere Terrine von der Gänseleber, dafür nehmen wir die Gänseleber und legen sie für Sie drei Tage lang in 15 Jahre alten Madeira …«
»Dann wünsche ich Ihnen einen guten Appetit!«
»… ??!?«

Jetzt sitzen beide da, Besteck in der Hand und verarbeiten das Gehörte. Wo waren wir stehen geblieben? Schade, es hätte ein schöner Abend werden können.

Es ist gewissermaßen eine kopernikanische Wende, die hier stattgefunden hat, nur leider in die falsche Richtung. Während früher der Gast die Sonne war, um die sich alles drehte, und er dafür kräftig zur Kasse gebeten wurde, dreht sich heute alles um den Koch, und dafür wird er immer noch kräftig zur Kasse gebeten. Diese neue Form der Gastronomie kann mit der Vorstellung, dass den Gast so banale Dinge beschäftigen wie seine Ehe, die neue Liebschaft, ein Geburtstag oder auch ein einzufädelndes Geschäft, nichts anfangen. Also werden die Verhältnisse geradegerückt. Wie der Lehrer mit dem Zeigestock: »Hier!!, Hier spielt die Musik, geschwätzt wird nicht!«

Nicht, dass Sie mich jetzt missverstehen, ich habe nichts gegen Künstler am Herd und Kunst auf dem Teller. Was mich anstrengt, ist der Kunstunterricht, der leider immer mehr überhandnimmt. Im Prinzip ist es nämlich genau wie mit dem Witz, der genau in dem Moment keiner mehr ist, in dem einer anfängt, ihn zu erklären.
Es ist mir tatsächlich schon passiert, dass man mir sagte, nachdem ich erklärt habe, dass ich ein wichtiges Gespräch führe und gebeten habe, auf die Erklärungen zu verzichten, dass es sich um eine Direktive des Hauses handle, und man nicht darauf verzichten dürfe. Sehr sympathisch sind im Gegensatz dazu kleine Kärtchen, die man zu den Gängen reichen kann, auf denen detailliert alle Elemente beschrieben sind. Die haben einen Riesenvorteil: Man kann sie lesen, muss aber nicht.

Ich empfinde es, ehrlich gesagt, auch überhaupt nicht als Respektlosigkeit, wenn ich ein Essen einfach nur essen will und mich dabei über etwas ganz anderes unterhalte. Man kann ja schließlich auch Mozart hören beim Autofahren. Oder Schostakowitsch. Beziehungsweise eine Oper genießen, ohne jede Kadenz, jeden Tonart- oder Rhythmuswechsel wirklich verstanden zu haben. Muss nämlich gar nicht sein. Rein in die Ohren, und direkt ins Herz, das ist völlig in Ordnung. Wenn man es danach doch genauer wissen will, kann man sich ja die Partitur kommen lassen. Wir müssen aufpassen, dass wir vor lauter Verstehenwollen und -müssen nicht komplett verlernen, Dinge auch zu genießen. In Wirklichkeit ist gerade das eine Form von Demut vor dem Werk.

Und Restaurants, die es mit der Erklärerei zu weit treiben, brauchen sich nicht zu wundern, wenn sie irgendwann nur noch Einzeltische mit Notizblock und Kamera haben.

Klaus Erfort hat mal in einem Interview in Effilee den schönen Satz gesagt: »Erfolg ist für mich, wenn die Leute eine zweite Flasche Wein bestellen.« Und die bestellen sie nicht, weil sie beeindruckt sind, sondern weil sie zufrieden sind und sich wohlfühlen. Und dazu gehört ein Dialog mit Fingerspitzengefühl.

Dieser Text stammt aus Effilee 23

4 Kommentare

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  1. Gut gebrüllt, Löwe!
    Am meisten stört mich, wenn man mich belehrt und die Reihenfolge ansagt, in der ich essen soll: Beginnen Sie von Links mit dem Espuma von ….
    Sinnvoll war allerdings der Rat des Kellners im Alinea. als er ein Gericht mit einerr Miniatru-Nadel aus Edelstahl serveirte „Don’t swallow the needle“.

  2. Luxusproblem. Einfach mal eine Preisklasse tiefer essen gehen und schon bekommt man das Essen wortlos auf den Tisch geknallt.

  3. Danke 🙂 Danke Danke 🙂 Ich habe diesen richtig schönen Worten nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht eine Kleinigkeit: Das musste wirklich mal gesagt werden!

  4. Klaus Erfort hat dafür sein genialen Restaurantleiter und Sommelier Jerome Pouchard der genau weißt wann man angesprochen werden will. Bei ihm bestellt man auch gerne die 2. Flasche weil er nicht alle paar Minuten erscheint und seine Meinung über den Wein sagt sondern erlaubt den Gast mit dem liebling wein zu medeitieren und kommt nur (aber dann ohne lange Pause) wenn man sich umschaut und bedient werden möchte. Wenn da nur mehr solche Leute in der Gastronomie bedienen wurden, hatten wir nicht zu beklagen. Bis dahin, werden wir mit den selbstverliebten Koch, eingebildeten Pseudo-Sommeliers und Kellner begnügen müssen.

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