Kartoffeln essen

Wenn es ein kulturstiftendes, mythisches Lebensmittel der Deutschen gibt, so ist es zweifellos die Kartoffel. Sie erreichte Europa ungefähr zur selben Zeit wie die Aufklärung und setzte sich schnell als Grundnahrungsmittel durch. Wenn man heute sagt, einer müsse »eine Zeitlang Kartoffeln essen«, so ist damit gemeint, er müsse sich einschränken. So gesehen, lohnt es vielleicht gerade in der Krise, sich genauer mit Solanum tuberosum zu beschäftigen. Zum Beispiel, indem man ein Püree zubereitet

Rohe Kartoffeln sind ungenießbar. Kunstvoll zubereitetes Püree dagegen ist köstlich. Woran liegt's?
Die Stärke, die in erster Linie den Nährwert der Kartoffel ausmacht, liegt, ähnlich wie beim Getreide, in festen Körnchen vor, die wir in dieser Form nicht verdauen können. Beim Kochen werden diese Körnchen aufgebrochen und Wasser kann sich an die Stärkemoleküle anlagern – ein Gel entsteht. Wenn man jetzt Butter hinzugibt, findet diese mit den separierten Zellen und den vollgesogenen Stärkekörnchen eine riesige Oberfläche, an die sie sich anlagern kann. So entwickelt sich eine seidige Struktur, die der Zunge schmeichelt. Etwas heiße Milch dazu, Salz und Muskat. Das Fett als Geschmacksträger sorgt dafür, dass auch die feinen Aromen der Kartoffel zutage treten und sich mit der Milch vermählen können. Dampfend heiß in der Schüssel auf den Tisch gebracht, ist das Püree eine ideale samtweiche Ergänzung zu kräftigen Gerichten wie Frikadellen, Würstchen, Leber oder Königsberger Klopsen.

Alles ganz einfach? Im Prinzip ja. Man muss nur einige Dinge beachten
Zunächst die Zutaten. Die Liste ist kurz: Kartoffeln, Butter, Milch, Salz. Eventuell Pfeffer und Muskat. Vor allem bei den Kartoffeln und der Butter sollte man nicht sparen. Allgemein wird empfohlen, mehlig kochende Kartoffeln zu verwenden. Geschmacklich sind fest kochende Sorten, wie zum Beispiel die legendäre Linda, häufig ergiebiger. Entgegen der landläufigen Meinung kann man mit solchen Kartoffeln durchaus ein hervorragendes Püree zubereiten. Voraussetzung ist, dass man sich ein paar Gedanken dazu macht, welche Faktoren Geschmack und Textur beeinflussen.
Es ist wichtig, die Kartoffeln beim Pürieren möglichst vorsichtig zu behandeln
Die Textur wird wesentlich von der Stärke bestimmt. Mehlig kochende Kartoffeln haben sehr viele, sehr große Stärkekörnchen eingelagert, die entsprechend viel vom kartoffeleigenen Wasser binden und dadurch aufquellen. Dabei werden die Zellwände gesprengt, so dass die Kartoffel zerfällt – das führt zu dem mehligen, trockenen Mundgefühl. Bei fest kochenden Kartoffeln sind die Körner kleiner, mehr Wasser ist übrig, und die Zellwände bleiben zum Teil erhalten. Die Kartoffel bleibt also feuchter und fester. Bei der Weiterverarbeitung kommt eine weitere Eigenschaft der Stärke zum Tragen: Stärke besteht aus zwei verschiedenen Sorten von Molekülen, Amylopektin und Amylose. Die Amylopektin-Moleküle haben eine dreidimensionale Struktur, sie sind relativ groß und unbeweglich. Amylose hingegen liegt als lange Kette vor, die spiralförmig aufgerollt ist. Unter Wärmeeinwirkung entfalten sich diese Spiralen. Wenn sie jetzt auf andere Stärkemoleküle treffen, können sie sich mit diesen verbinden, so dass ein Netzwerk entsteht. Der Vorgang ist derselbe wie beim Kneten von Teig, in diesem Fall allerdings unerwünscht. Deshalb ist es wichtig, die Kartoffeln beim Pürieren möglichst vorsichtig zu behandeln. Wird die Kartoffelmasse zu stark gerührt oder gar im Mixer verarbeitet, wird zuviel Stärke freigesetzt und das Ergebnis ist kein Püree, sondern eine kleistrige, klebrige Masse, die schwer im Magen liegt und eher zur Strafe als zur Belohnung taugt.
Das Ziel ist also, die Kartoffeln gar zu kochen und zu pürieren, dabei aber möglichst wenig Stärke freizusetzen
Ich habe mich lange gefragt, warum oft empfohlen wird, Kartoffeln in kaltem Wasser aufzusetzen. Die Antwort steht in dem großartigen Buch On Food and Cooking von Harold McGee: Wenn man Gemüse bei niedrigen Temperaturen (etwa 50 Grad) vorgart, verändern sich die Zellwände und die Stärkekörnchen so, dass sie beim anschließenden Garkochen fester bleiben. Werden die Kartoffeln kalt aufgesetzt, so kommen zumindest die äußeren Schichten für eine gewisse Zeit in den Genuss dieser Niedertemperaturbehandlung.

Dann wäre es vielleicht am besten, wenn die Kartoffeln möglichst nur aus äußeren Schichten bestünden?
Nichts einfacher als das: Wir schälen sie und schneiden sie in dünne Scheiben, 5 mm mit der Aufschnittmaschine oder einer Mandoline. Das hat noch einen weiteren Vorteil: Wir können die Garzeit relativ kurz halten und die Kartoffeln laugen nicht so aus.
Wichtig ist, die Kartoffeln gerade eben gar zu kochen, auf keinen Fall zu lange. Abgießen und im trockenen Topf auf dem Herd ausdampfen lassen. Heiß durch die Kartoffelpresse drücken und möglichst schnell – aber vorsichtig – die zimmerwarme, jedoch nicht geschmolzene Butter einarbeiten. Das Fett umhüllt die Stärkekörnchen und trägt so seinen Teil dazu bei, dass das Püree nicht klebrig wird. Wer ein besonders feines Püree haben möchte, treibt es noch ein- oder zweimal durch ein feines Sieb. Jetzt kann man das Püree entweder mit etwas heißer Milch, Salz, Pfeffer und Muskat vollenden und servieren oder es zur späteren Verwendung kalt stellen. Es wird im Kühlschrank hart, kann aber leicht mit etwas Milch unter vorsichtigem Rühren auf kleiner Flamme wieder erwärmt werden.
Diese Methode liefert auch mit fest kochenden Kartoffeln zuverlässig sehr gute Ergebnisse. Was mich noch stört ist lediglich, dass durch das Schälen entscheidende geschmackliche Komponenten der Kartoffel verloren gehen. Wie so häufig bei Obst und Gemüse steckt nämlich auch bei der Kartoffel das meiste Aroma in oder direkt unter der Schale. Besonders das erdige, kartoffelige Pyrazin, das zum Teil von der Knolle selbst und zum Teil von im Boden lebenden Mikroben hergestellt wird, trägt zum typischen Kartoffelaroma bei. Für ein wirklich perfektes Püree stecke ich deshalb die Schalen in einen (oder mehrere) Einmalteefilter aus Papier und koche sie mit.


Kartoffelpüree

Für 4 Personen
  • 500 g Kartoffeln (Linda)
  • 200 g Butter
  • 0,2 l Milch
  • Salz, Pfeffer,
  • Muskat
  1. Vorbereitung: Kartoffeln gründlich waschen, schälen und mit der Mandoline oder der Aufschnittmaschine in 5 mm dicke Scheiben schneiden. Die Butter aus dem Kühlschrank nehmen, in 2 cm breite Würfel schneiden und Zimmertemperatur annehmen lassen.
  2. Kartoffeln kochen: 1/2 Liter Wasser kräftig salzen (7 g). Die Kartoffeln in das kalte Wasser geben und auf mittlerer Hitze aufkochen lassen. Wenn die Kartoffeln gerade eben gar sind, abgießen, zurück in den Topf geben und auf dem Herd ausdampfen lassen.
  3. Pürieren: Kartoffeln durch eine Kartoffelpresse in eine vorgewärmte Schüssel drücken. Anschließend zügig, aber ohne Hektik, die Butter einarbeiten. Dabei nicht zu stark rühren. Für ein besonders feines Püree die Masse ein- oder mehrmals durch ein Sieb streichen. Die Masse kann jetzt entweder gleich weiterverabeitet oder kalt gestellt werden.
  4. Fertigstellen: Im Topf erwärmen und mit heißer Milch auf die gewünschte Konsistenz bringen. Mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken.

3 Kommentare

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  1. Das Mitkochen der Schalen ist ein toller Tipp. Ich mag nämlich die Schale der Kartoffel sehr gerne und fand es bisher immer schade, für ein Pü die Schale wegwerfen zu müssen.

  2. Spricht etwas dagegen Kartoffeln in Dampf mit Schale zu garen? Es wurde schon behauptet es wäre wichtig, dass unverträgliche Stoffe ins Kochwasser austreten können.

Aus Effilee #4, Mai/Jun 2009
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