Herrn Paulsens Deutschstunde: Maultaschen

Seit frühester Kindheit kennt und schätzt der Schwabe die perfekte Maultasche – und die ist hausgemacht: Feinweiß und hauchdünn umkräuselt frischer Nudelteig eine Füllung aus Hackfleisch, Kalbsbrät und gehacktem Spinat.

Beobachten kann man sie in vielen deutschen Großstädten nördlich des Mains: emigrierte Schwaben, die sich beim Anblick einer fertigen Maultasche lachend oder auch kopfschüttelnd über die Frischeregale des Supermarktes beugen. Seit frühester Kindheit kennt und schätzt der Schwabe die perfekte Maultasche – aber die ist hausgemacht: Feinweiß und hauchdünn umkräuselt frischer Nudelteig eine Füllung aus Hackfleisch, Kalbsbrät und gehacktem Spinat. Die Maultaschen werden in duftender Fleischbrühe gegart und mit weichgeschmorten, hellgebräunten Zwiebeln serviert, wozu gerne Kartoffelsalat serviert wird. Es werden stets viel zu viele Maultaschen gefaltet, um die übrigen am nächsten Tag mit Zwiebeln oder verquirlten Eiern zu braten, dazu gibt es dann grünen Salat. Ein zweitägiges Festessen.

Über die Beschaffenheit der Füllung ist schon so mancher Glaubenskrieg entbrannt, selbst der Spinat ist mitunter umstritten!

Die Herstellung ist mühsam, und so gibt es im Schwäbischen die schöne Tradition, dass engagierte Bäckermeister an mindestens zwei Tagen der Woche frisch ausgerollte Nudelteigbahnen anbieten. So kann sich die schwäbische Hausfrau auf das Allerwichtigste konzentrieren: die Füllung. Über deren Beschaffenheit ist schon so mancher Glaubenskrieg entbrannt, selbst der Spinat ist mitunter umstritten! Höchst diskutabel sind auch die Form der Maultasche (rechteckig vs. quadratisch), das Mischungsverhältnis von Hack, Brät und eingeweichtem Brot, die Verwendung von Kräutern sowie die Würzung. Es gibt ebenso viele Maultaschenfüllungen wie schwäbische Hausfrauen – die Rezepte werden ausschließlich im engsten Familienkreis mündlich weitergegeben.

Einst wurden die Nudeln in Schwaben aussschließlich mit Spinat und Kräutern gefüllt, sie standen in einem kulinarischen Verwandtschaftsverhältnis zu den Ravioli jenseits der Alpen. Die Fleischbeigabe (und der Name) ist der Legende nach den Mönchen des Klosters Maulbronn zu verdanken, die während einer strengen Fastenzeit in den Hungerjahren des Dreißigjährigen Krieges durch Zufall in den Besitz eines großen Stückes Fleisch kamen. Ehe sie es verderben ließen, versteckten die schlauen Mönche das Fleisch kurz entschlossen vor dem lieben Gott in der Nudelteighülle. Noch heute werden die Herrgottsbscheißerle im Schwäbischen traditionell auch an Gründonnerstag und Karfreitag gereicht, obwohl das Ende der Fastenzeit aus kirchlicher Sicht erst für den darauf folgenden Karsamstag vorgesehen ist.

Die Maultasche ist für den Schwaben in Nudelfragen die schützenswerte Königin der weltumspannenden Nudelkultur

Der Schwabe ist aber nicht nur ein findiger Nostalgiker, sondern auch ein bewahrender Traditionalist. Die Maultasche ist für ihn in Nudelfragen die schützenswerte Königin der weltumspannenden Nudelkultur. Dim Sum, Tortellini, Pirogge, Schlutzkrapfen oder Pelmeni sind für ihn lediglich Maultaschen-Plagiate. Daher bemühte sich schon 2005 die Schutzgemeinschaft Schwäbische Maultasche erfolgreich um die Eintragung einer geografischen Angabe beim Patent- und Markenamt. Seitdem ist die Schwäbische Maultasche als identitätsstiftende Köstlichkeit europaweit rechtlich geschützt. Amtlich festgelegt sind damit aber leider nicht nur Name und Herkunft, sondern auch die offizielle Zubereitung, Zusammensetzung und Abmaßung (Standardmaultasche: Länge 5,5–10 cm, Breite 5–9 cm, Höhe 1,5–2,5 cm).

Soviel Bürokratie verlangt Feingefühl beim Nachkochen. Es kann sich daher bei der folgenden Rezeptur lediglich um eine freie und unabhängige Interpretation der rechtlich geschützten Schwäbischen Maultasche handeln – im Grunde also um eine total ungeschützte Maultasche Schwäbischer Art. Allerdings in einer von größtmöglicher Authentizität geprägten Version, die schon von etlichen emigrierten Schwaben ungewohnt wortreich belobigt wurde.

Maultaschen schwäbischer Art

für 6–8 Personen, ca. 40 Stück
  • 6 Eier (Größe M)
  • 2 EL Olivenöl
  • 300 g Mehl (Typ 405)
  • 600 g Blattspinat
  • 6 Zwiebeln
  • 600 g Hackfleisch
  • 400 g feines Kalbsbrät
  • Mehl zur Teigverarbeitung
  • 5 l Fleischbrühe
  • 50 g Butter
  • Pfeffer, Salz, Schnittlauch und Petersilie
  1. 3 Eier mit 50 ml Wasser, 1 Esslöffel Olivenöl, einer Prise Salz und dem gesiebten Mehl zu einem glatten Teig verkneten. In Klarsichtfolie ruhen lassen.
  2. Spinatblätter entstrunken und in lauwarmem Wasser gründlich waschen. 2 Zwiebeln fein würfeln und in 1 Esslöffel Öl andünsten. Den abgetropften Spinat zugeben, mit Salz würzen und unter Rühren zusammenfallen lassen. Abkühlen lassen, in einem Tuch trocken drücken und grob hacken.
  3. Petersilie hacken, mit Hackfleisch, Brät, Spinat und 2 Eiern verkneten und kräftig mit Salz und Pfeffer würzen.
  4. Nacheinander je ein Viertel des Teigs mit der Nudelmaschine ausrollen, bis Stufe 7 erreicht ist. Die fertigen Nudelbahnen leicht mit Mehl bestäuben, locker zusammengefaltet in Klarsichtfolie wickeln und bis zur weiteren Verwendung im Kühlschrank aufbewahren.
  5. 1 Ei verquirlen, die ausgebreiteten Nudelbahnen damit dünn einpinseln. Auf das untere Drittel je ein Viertel der Masse der Länge nach auftragen, die Nudelbahn einmal umklappen, leicht flachdrücken und nochmals locker umschlagen. Die so entstandenen Maultaschenbahnen mit einem Kochlöffelstiel im Abstand von ca. 7 cm eindrücken und an diesen Stellen durchtrennen. Die Enden mit den Fingern nochmals festdrücken.
  6. Fleischbrühe aufkochen, die Hitze reduzieren, die Maultaschen hineingeben und in der siedenden Brühe 12 Minuten gar ziehen. 4 Zwiebeln halbieren und in feine Streifen schneiden. Bei milder Hitze in der Butter hellbraun schmoren, mit Salz und Pfeffer würzen. Schnittlauch in kleine Röllchen schneiden, Petersilie hacken. Die Maultaschen mit etwas Brühe und den geschmorten Zwiebeln anrichten, mit Kräutern bestreuen.
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Aus Effilee #30, Herbst 2014
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