Grönkohl

Grönkohl: Ein ganz klassisches Grünkohlrezept aus Nordfriesland.

Heide ist die Mutter meiner Kindergartenfreundin Dörte. Viele Mittagessen habe ich damals an ihrem Tisch bekommen, doch das ist mehr als dreißig Jahre her. Und seit bestimmt zwanzig Jahren bin ich nicht mehr diesen Weg entlang der weißen Reihenhäuser in Reinbek bei Hamburg zu den Lemmermanns gegangen. Der Klingelknopf und das Schild sind noch die alten, doch während ich vom Lauf der Zeit schon etwas verwittert bin, glänzen Knopf und Schild golden wie damals.

»Hallo Allex!« Heide begrüßt mich mit ihrem vertrauten herzhaften Lachen und dem kurzen Vokal, mit dem sie schon immer meinen Namen ausgesprochen hat. Sie bittet uns in den Flur. Dörtes Zimmer, gleich rechts, gehört jetzt zum Wohnzimmer, wo früher ihre Zimmertür war, steht nun eine Vitrine mit Andenken. Die Hälfte des Grünkohls hat Heide schon blanchiert und klein geschnitten, die andere Hälfte steht im Innenhof. »Auf dem Markt habe ich noch nicht abgestrippelten Kohl gesehen. Ich dachte, den bringe ich mal mit, dass man ihn auch mal im Urzustand sehen kann. Normalerweise kaufe ich aber die üblichen Kilobeutel.«

Ich wasche den Kohl immer zweimal, damit die Tierchen rausgehen.

Während wir den Grünkohl hereinholen, richte ich schöne Grüße von Tanju aus. Tanju, ein Schulfreund von Dierk, dem Sohn der Familie, betreibt heute meine Lieblingskneipe. Heide strippelt die Blätter vom Strunk und wäscht sie. »Ich wasche den Kohl immer zweimal, damit die Tierchen rausgehen. Vorhin hatte ich schon zwei kleine Würmer. Im Biokohl sieht man häufig größere Löcher, die fressen die Raupen rein.«

Aufgewachsen ist Heide in Tümlauer-Koog, im Schulhaus hundert Meter hinterm Deich. »Urgroßvater, Großvater und Vater waren Lehrer, da habe ich nie überlegen müssen, was ich werde.« Ihr Schulweg war in den ersten vier Jahren sehr kurz. »Ich musste nur aus der Tür raus und einmal ums halbe Haus. Aber ich kam trotzdem oft zu spät, weil ich frühmorgens in der Küche helfen musste«, erzählt Heide. »Als ich dann das erste Mal nach St. Peter-Ording kam, zum Probetag auf dem Gymnasium, war ich total überwältigt. So viele Menschen hatte ich noch nie an einem Ort gesehen.«

Kohl und Steckrüben bekamen sie früher direkt vom Bauern. »Da bin ich dann hingegangen und hab gesagt: Ick schull frogen, ob wi Kohl vun jüm hebben könnt. Dann hat die Bäuerin meist geantwortet: Gah man op dat Feld und hol di, wat du brukst! Ich habe mir dann den Kohl selbst auf dem Feld geschnitten. Wir hatten immer den frischesten Kohl! Das war ein billiges Essen, Beamtenessen haben wir gesagt. Wir waren schon immer eine Familie, die gerne gegessen hat – gut und reichlich!« Heide lacht.

Heide erzählt, dass nebenan jetzt der Sohn des Bademeisters eingezogen ist.

Dann blanchiert sie den nächsten Schwung Blätter, um die Bitterstoffe zu enfernen. »Viele machen Bratkartoffeln oder karamellisierte Kartoffeln, aber bei uns gab‘s den Grünkohl immer mit Salzkartoffeln.« Heide erzählt, dass nebenan jetzt der Sohn des Bademeisters eingezogen ist. »Die Margarethe, die die Straße runter wohnte, ist jetzt in Südamerika. Und die Dorit ist jetzt Clown. Das wollte sie immer werden.« Heide schreckt den blanchierten Kohl ab. »Vermutlich macht man das, damit man ihn anfassen kann. Sonst ist der doch sehr heiß.« Sie legt die geräucherte Schweinebacke in einen großen Topf und gießt so viel Wasser an, dass sie gerade bedeckt ist. »Wie lange man die gart, weiß ich jetzt auch nicht. Ich nehme sie einfach raus, wenn sie fertig ist.«

»Im Winter, wenn die ganze Familie zusammenkommt, gibt es Grünkohl satt. Nur die Schwiegertochter muss etwas anderes bekommen. Die kommt aus Bayern.« Heide schneidet die Grünkohlblätter klein. »Für die ist das Viehfutter.« Der Kohlberg wird immer höher. Ihren Mann Jürgen hat Heide nach der Sturmflut 1962 kennengelernt. Er kam in den Tümlauer Koog, um den Deich zu reparieren. Als Heide ihr Studium beendet hatte, suchte sie sich eine Stelle als Grundschullehrerin in der Nähe von Hamburg, wo Jürgen lebte. Heide schneidet eine Zwiebel, dann holt sie mit einer Gabel von Oma die Schweinebacke aus dem Topf und gießt die Brühe in einen kleinen Topf um. »Wir haben auch ein Messer zu der alten Gabel. Und das ist immer noch scharf. Wisst ihr, wo wir das früher geschärft haben? Am Haus! An den roten Steinen.«

»Meine Schwester hat ein Restaurant«, erzählt Heide. »Die sagt immer: Fondor musst du noch‘n büsch‘n ranmachen.«

Heide lässt in einem großen Topf etwas Schmalz zerlaufen und dünstet darin ganz kurz die Zwiebeln an, dann gibt sie eine erste Handvoll Grünkohl dazu. »Ich rühre jetzt einmal um, damit alles miteinander in Berührung kommt. Dann kommt der restliche Kohl dazu.« Ich frage, ob sie Jürgen Spazierengehen geschickt hat. »Jürgen ist im Keller am PC. Der kocht nicht mit. Der kommt dann zum Essen rauf.« Der Topf ist inzwischen gut mit Grünkohl gefüllt. »Meine Schwester hat ein Restaurant«, erzählt Heide. »Die sagt immer: Fondor musst du noch‘n büsch‘n ranmachen.« Heide gießt die Brühe der Schweinebacke zum Kohl. »Das Kassler darf nicht zu lange garen, das wird sonst zu trocken. Aber die Kasslerknochen und die Schweinebacke lege ich schon mal in den Topf. Die Würste kommen erst ganz zum Schluss dazu.« Heide verteilt einen Esslöffel Salz über dem Kohl. »Das Salzen ist etwas schwierig. Einerseits schluckt der Kohl viel Salz, andererseits sind Würste, Kassler und Schweinebacke auch salzig.«

»Wenn das jetzt zu flüssig wird, reibe ich rohe Kartoffeln an den Kohl. Viele nehmen auch Haferflocken.« Heide legt das Kassler in den Topf und setzt die Kartoffeln auf. Jürgen kommt aus dem Keller, vermutlich wurde er von dem Geruch angelockt. Wir tragen Kohl, Kartoffeln und Fleisch ins Esszimmer, dazu verschiedene Senfsorten. »Ich würde immer etwas Senf unter den Kohl mischen. Und natürlich kommt auch welcher auf die Schweinebacke. Am zweiten Tag ist der Kohl übrigens noch besser. Und das Leckerste ist kalte Schweinebacke mit Senf.« Die Schweinebacke besteht vor allem aus sehr sehr viel Fett, das ist nicht jedermanns Sache. Aber sie trägt wesentlich zu dem leckeren Geschmack des typischen deutschen Grünkohls bei – und dazu, den Esser winterfest zu machen. Obwohl eine Portion reicht, um ein durchschnittliches Dorf zu ernähren, nehmen wir uns alle nach. Draußen ist es kalt und der frische Grünkohl mit Wurst, Kassler und Backe ist ausgesprochen schmackhaft.

»Grünkohl hat in ganz Norddeutschland eine große Bedeutung«, erzählt Heide, während wir die Mahlzeit mit einem guten Birnenschnaps verteilen. »Rudolf Kinau aus Finkenwerder hat mal geschrieben: In Finkwarder ward de Kinner ne geborn, in‘n Sommer bringt jem de Äbär un in‘n Winder kruupt se ut‘n greunen Koohl.«


Grönkohl

Für 6 Personen
  • 2 kg Grünkohl
  • 1 geräucherte Schweinebacke
  • 75 g Schweineschmalz
  • 2–3 Zwiebeln, fein gehackt
  • Salz und Fondor zum Würzen
  • 750 g Kassler
  • etwa 500 g Kartoffeln
  • 4 Kochwürste
  • etwas geriebene Muskatnuss
  1. Die Blätter des Kohls von den dicken Rippen streifen, waschen und für ein paar Minuten in kochendes Wasser geben. Abtropfen lassen, klein schneiden.
  2. Schweinebacke in einem Topf mit Wasser knapp bedecken und ungefähr 30 Minuten köcheln lassen.
  3. Gehackte Zwiebel im Schmalz ganz leicht andünsten, den Grünkohl nach und nach hinzugeben, leicht andünsten und umrühren. Schweinebacke mit der Brühe und etwas Salz hinzugeben. Auf mittlerer Stufe kochen lassen.
  4. Nach etwa 1 ½ Stunden das Kassler drauflegen und 30 Minuten mitkochen lassen. In der Zwischenzeit Kartoffeln schälen, mit etwas Salz aufsetzen und etwa 20 Minuten kochen lassen.
  5. Für etwa die letzte Viertelstunde die Kochwürste zum Kohl geben und heiß werden lassen.
  6. Den Kohl mit Muskatnuss und Fondor abschmecken, eventuell nachsalzen. Die Flüssigkeit mit geriebenen rohen Kartoffeln etwas andicken. Schweinebacke und Kassler aufschneiden und auf einer Platte mit den Würsten anrichten. Mit reichlich Senf servieren.

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Aus Effilee #8, Jan/Feb 2010
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