Der Dashi oder die Fülle des Nichts

Malte Härtig über den Dashi, der in der japanischen Küche gleichzeitig so viel und so wenig Geschmack liefert.

Auf den Dashi traf ich gleich auf meiner ersten Reise nach Japan. Ich wollte herausfinden, ob und wie sich die japanische Küche philosophisch erforschen ließe. Ich saß mitten in Tokyo in einem schnöden Wolkenkratzer in irgendeinem der unzähligen Stockwerke in einem gehobenen Restaurant und aß ein Kaiseki-Menü. Man sagt ja, dass es im Kaiseki um die Jahreszeiten geht. Davon war hier, mitten in der Metropole, wenig zu spüren. Das Restaurant war, ebenso wie die Umgebung, atmosphärearm. Das Essen aber war fein.

Im Laufe des Menüs fiel mir etwas auf, was mich seitdem faszinieren sollte: der Dashi. Er kam an unterschiedlichen Stellen vor. Am eindrücklichsten begegnete er mir im Chawanmushi, einer gedämpften Eicreme, die Ähnlichkeit mit einer Crème brûlée hat – denkt man sich die Karamellkruste und das Süße mal weg – und in einer klaren Suppe.

Eine Suppe in Japan zu trinken, ist eine stilvolle und direkte Angelegenheit. Man trinkt sie aus der Schale. So kommt man mit dem Geruch und Geschmack der Suppe, und in diesem Fall auch mit dem Dashi, eng in Kontakt. Wenn die Suppe serviert wird, ist sie noch mit einem Deckel verschlossen. Man hebt die Schale in die linke Hand, führt sie nahe ans Gesicht heran, lüftet mit rechts den Deckel, macht die Nase ganz weit auf und riecht und schaut. Heißer Dampf steigt auf mit Aromen, leicht geräuchert, dezent süßlich und rund. Die Augen sehen die Verzierung, die innen im Deckel aufgetragen ist, und blicken dann nach unten in die Schale auf ein fein geschichtetes Einlagen-Arrangement. Die Eindrücke verschmelzen und die Deckeldekoration untermalt wie beiläufig die Schönheit und Anmutung der Suppe. Es ist Spätsommer, deshalb zieren die rotlackierte Schale zwei grüne geschwungene Ginkgoblätter, die sich vom Stängel her gelb färben. Der Herbst naht, teilt mir der Deckel sehr subtil mit. Draußen vor dem Fenster erstrecken sich bis zum Horizont nichts als Häuser. Ein kleiner Hinweis auf die Natur ist da schon angebracht.

Unten in der Schale liegt ein Stück Möhre in Ahornblattform, daneben Seidentofu, ein Ring grüner Bittergurke und noch ein paar andere Dinge, verziert mit dem feinblättrigen Kinome-Kraut und einem Schnitzer Yuzu. Die Zitrusfrucht gibt dem Arrangement eine optische und kulinarische Kopfnote. Ihr Aroma steigt aus der Schale in meine Nase.

Das Besondere an dieser Suppe ist für mich das, worin die Dinge schwimmen: Die Flüssigkeit. Sie ist klar, ohne Fettaugen oder Trübung. Man sieht die Gemüse, fein arrangiert, und darunter den Grund der Schale. Der Fond schmeckt wie er riecht: leicht geräuchert, mit einer Spitze Zitrus. Er schmeckt voll. Es ist, als sei der ganze Mundraum aktiviert, als würde er zu einem abstrakten Geschmacksraum, in dem jemand das Licht angeknipst hätte – und durch den nun die Dinge vorbeiziehen, eines nach dem anderen: Tofu, Möhre, Bittergurke, Kinome. Aus diesem Fond schmeckt nichts wirklich hervor. Er schmeckt, abgesehen vom Raucharoma nach nichts, sodass ich nicht wirklich sagen kann, was da drin ist.

Das ist der Dashi

Als ich ihm das erste Mal begegnete, lag darin etwas Magisches. Ich wusste: Hier bin ich richtig. Hier gibt es etwas zu erforschen. Dashi bedeutet Auszug. Es geht also um etwas Wesentliches. Das Essen von damals habe ich heute, knapp neun Jahre danach, schon längst vergessen. Der erste Geschmack des Dashi hat mich bis heute begleitet. Ich habe schließlich eine Doktorarbeit über das Kaiseki geschrieben und darin hat der Dashi einen eigenen Abschnitt von sechzig Seiten bekommen.

Böse Zungen behaupten, ohne den Dashi wäre die japanische Küche nichts.
Etwas neutraler könnte man sagen: Der Dashi ist wesentlich für die japanische Küche, nicht nur geschmacklich, sondern auch gedanklich. Er ist ein natürlicher Geschmacksverstärker. In den letzten Jahren haben wir in Europa viel über Umami gelernt – eine Empfindung des Geschmackssinns und eine Art und Weise, das Essen mit einer geschmacklichen Fülle auszustatten. Japan ist eine Umami-Kultur. Es gibt kaum ein (nicht-süßes) Produkt in den Supermärkten, in dem sich nicht auch die Zutat Aminosan findet. Das ist der böse Bruder des Dashi, das Mononatriumglutamat. Beide hängen eng zusammen. Das eine, der Dashi, gilt als das Herz der japanischen Küche – ein Fond aus Fisch und Algen, dem man seine Herkunft, das Algige und Fischige, kaum noch anschmeckt. Pure Fülle. Auf der anderen Seite ein kristallklares, salzähnliches Granulat oder Pulver, das industriell hergestellt wird und all den Dingen beigemischt wird, die von sich aus wenig oder einen Fehlgeschmack haben, weil man auf Reife und Qualität verzichtet hat. Purer Geschmacksverstärker.

Der Entdecker das Umami war auch gleichzeitig der Entdecker des Glutamats. Kikunae Ikeda, ein japanischer Chemiker, war ebenfalls vom Geschmack des Dashi fasziniert. Er kam bei seiner Forschung zu dem Schluss, dass die Glutaminsäure des Kombu, eine der drei Dashi-Zutaten, und darin genauer das Natriumglutamat wesentlich für den Effekt des Dashi sei. Kombu gilt als das Lebensmittel mit dem höchsten natürlichen Gehalt an Glutamat. Seine Entdeckung in Reinform, das Mononatriumglutamat, ließ er patentieren. Wenig später übernahm das daraufhin neu gegründete Unternehmen Ajinomoto, auf Deutsch die Essenz das Geschmacks, dessen Herstellung und gehört heute zu den größten Produzenten des industriell hergestellten Geschmacksverstärkers. Es geht also auch hier um etwas Wesentliches.

Wenden wir uns wieder dem traditionellen Ursprung zu, dem Dashi, dem natürlichen Geschmacksverstärker. Was ist Dashi und wie stellt man ihn her? Irgendwie erschien er mir sehr geheimnisvoll. Er schien mir zentral zu sein, um die japanische Küche zu erforschen und zu verstehen. Man sagte mir, ich solle nach Kyoto gehen und mir anschauen, wie die Kaiseki-Köche dort mit dem Dashi arbeiten.

Zwei Grundzutaten hat der Dashi: Katsuobushi und Kombu, Bonito und Seetang. In den klassischen Rezepten wird Kombu im Wasser erhitzt und kurz vor dem Siedepunkt wieder entfernt. Dann kommen getrocknete Bonitoflocken in den Fond, er wallt einmal auf, wird passiert und fertig ist der Dashi. Das ist eigentlich schon alles. Im Vergleich zu einem europäischen Fond, gleich welcher Art, ist das sehr, sehr unaufwendig. Einen Dashi macht man scheinbar nebenbei – und erzielt doch ein Geschmacksereignis, das sehr beeindruckend ist und das man bei uns vor ein paar Jahren noch kaum kannte. Vor allem die Köche in Kyoto haben viel dafür getan, dass der Dashi und im Zuge dessen die japanische Küche im Westen bekannter wurde. Wohl auch mit dem Hintergedanken, dass sie damit langfristig neue Gäste gewinnen. Galten Kaiseki-Restaurants früher als Etablissements, in die man nur durch persönliche Empfehlung Zutritt erhielt, öffnen sie sich heute der Welt. Manche Beobachter meinen, diese Öffnung und die Verbreitung von Kaiseki, Dashi und Umami werde auch durch das Unternehmen Ajinomoto unterstützt. Sowohl als auch, sagt man in Japan gerne. Traditioneller und industrieller Geschmacksverstärker gehen hier scheinbar Hand in Hand.

Zwei Jahre nach meinem ersten Besuch in Japan kam ich für insgesamt eineinhalb Jahre nach Kyoto zur Feldforschung zurück. Eine meiner ersten Begegnungen mit dem Dashi war damals eine Dashi-Präsentation an der Uni Kyoto. Namhafte Köche der Stadt standen hinter ihrem dampfenden Dashi und boten ihn zum Probieren an. Ich habe damals etwas mehr als eine Handvoll Dashis verkostet – und alle schmeckten anders. Das war für mich zunächst sehr erstaunlich. Wie kann man mit zwei Zutaten eine solche Differenzierung erreichen? Meine damalige Begleiterin kürte während der Verkostung ihren persönlichen Favoriten. Sie machte mich auf den Koch aufmerksam, der Nakahigashi hieß. Er hat einen alternativen, sehr interessanten Ansatz. Über den Dashi kamen wir zu ihm, in sein Restaurant, zu seinem Essen. Für mich ist er der inspirierendste Koch, den ich kenne. Spiritualität gehört bei ihm zum Kochen dazu. Der Dashi ist so etwas wie der Hausgeschmack. Und die gehobenen Restaurants legen großen Wert darauf, gerade weil die Zutaten so beschränkt sind, hierin ihre eigene Handschrift zu zeigen.

Warum sich das lohnt, zeigte sich mir bei der Forschung in der Küche eines der bekanntesten Kaiseki-Restaurants, dem Kikunoi in Kyoto. Dort gab es damals einen Koch, der für den Dashi und genau diesen Hausgeschmack zuständig war. Er arbeitet auf dem Nimono-Posten (Nimono bezeichnet gekochte Dinge). Alles, was die Küche in Richtung Gast verließ und mit Dashi in Berührung gekommen war, wurde von diesem Koch abgeschmeckt. Er war damals schon achtzehn Jahre im Kikunoi. Und wie mir ein amerikanischer Kollege sagte, kannte er den Hausgeschmack nicht nur sehr genau, sondern konnte diesen innerhalb der vorgegebenen Rezepturen noch deutlich feiner gestalten. Sein Arbeitsalltag bestand im Wesentlichen darin, Dinge abzuschmecken – und natürlich den Dashi herzustellen. Wenn man morgens in die Küche des Kikunoi kam, stand dort schon eine Reihe von großen Töpfen auf den Gasbrennern – jeweils mit einem Thermometer versehen, das sechzig Grad anzeigte. Für eine Stunde lagen darin große Kombublätter. Diese Zeitdauer und diese Temperatur, so hatten Versuche des Kikunoi mit der Uni Kyoto gezeigt, extrahiert das Maximum an Umami aus dem Kombu in den Fond. Nachdem er ausgezogen war, brachte man das Wasser auf fünfundachtzig Grad, um dann die Späne des Katsuo für ein paar Sekunden darin ziehen zu lassen. Diese kamen frisch gehobelt von einem Bekannten des Inhabers des Kikunoi, kaum hundert Meter Luftlinie entfernt. Die Aromen dieser Flocken seien sehr flüchtig, erzählten mir die Köche, also sei es wichtig, sie schnell zu verarbeiten. Traditionell gibt es eine Hobelbox, mit der man die feinen Späne schabt.

Nachdem auch die Aromen des Bonitos in den Fond übergegangen waren, wurden die feuchten Flocken und der Kombu erneut angesetzt und diesmal über mehrere Stunden ausgekocht. Daraus wurde der Niban-Dashi, der zweite Auszug, der für Schmorgerichte und andere intensive Zubereitungen genutzt wird. Er schmeckt fischiger und leicht säuerlich. Im Kikunoi gab es darüber hinaus noch den Hachiban-Dashi, den achten Auszug. Diese eher traditionelle Variante ist deutlich kräftig und wird verwendet, um die Bittertöne der Bambussprosse in den Frühjahrsmenüs zu mildern und auszubalancieren.

Dashis, Auszüge, gibt es in Japan viele. Im Prinzip beginnt das schon mit dem Tee. Auch er ist ein Auszug. Daher ist die Art und Weise, den feinen Dashi zu kultivieren, nicht allzu weit von der traditionellen Teezeremonie und ihrem Wissen entfernt. In der buddhistischen Tempelküche kennt man den veganen Dashi, in dem getrocknete Shiitake mit Kombu kombiniert werden. Es gibt würzig-fischige Dashis, für die zum Beispiel getrocknete Sardinen, Heringe, Brassen oder Garnelen als Grundlage dienen. Ich las im Zuge meiner Recherchen über den Anthropologen Noamichi Ishige, wie er die Verbreitung einer Würzsauce über weite Teile Ostasiens nachzeichnete, die auf fermentiertem Fisch oder Meeresfrüchten basiert und heute in Ländern wie China, Thailand, Vietnam und so weiter noch zum Kochen verwendet wird. Auch dies sind Umami-Kulturen. Japan nimmt darin eine Sonderrolle ein. Man bemühte sich dort, auf Basis von Bonito und Kombu das Umami auf ein Level der höchsten Reinheit zu führen, um damit feine Gerichte, Seidentofu, Yuba und Gemüse, in ihrem Eigengeschmack zu heben.

Dafür nimmt man im Kaiseki vor allem den ersten Auszug, den Ichiban-Dashi. Auf dieser Basis bauen Restaurants wie das Kikunoi den Geschmack ihrer Gerichte auf. Die Aufgabe des Nimono-Kochs ist es nun, mit Hilfe von Sojasauce, Mirin, Sake, Zucker und Salz, den Fond an das jeweilige Produkt anzupassen. Ich sah ihn oft vor größeren und kleineren Töpfen stehen, ein wenig in sich versunken, um dann mit Messlöffelchen unterschiedlicher Größe hier und da ein wenig hinzuzufügen, die Flüssigkeit wieder einzukochen, abzuflämmen, mit Sake zu aromatisieren und dergleichen mehr. Er simmerte große runde Daikon-Stücke. Er setzte Möhren an. Nach dem Garen kamen die Gemüse in Tupperboxen, wurden im Kühlhaus gestapelt und konnten bis zur weiteren Verwendung durchziehen. Aufgrund der Vielzahl der Dinge, die in diesen Boxen osmotisch mit Dashi im Geschmack gehoben wurden, kann man sich schon fragen, was denn übrig bliebe, wenn die japanische Küche den Dashi nicht hätte. Auf der Suche nach Alternativen zum Dashi sah ich einmal eine Gruppe führender Kaiseki-Köche mit getrockneten Tomaten, Morcheln und Huhn experimentieren. Und auch der klassisch-europäische Gemüsefond stand irgendwann mal als Experiment in einer Kaiseki-Küche auf dem Gasbrenner. Es war die Zeit von Fukushima und für die Köche war unklar, wie es zum Beispiel mit dem Kombu weitergehen würde.

Aber das ist noch nicht alles. Auch über die Auswahl der Grundprodukte lässt sich der Dashi variieren. Denn sie sind in sich bereits sehr komplexe Produkte, allen voran der Katsuobushi, der sehr aufwendig und langwierig hergestellt wird. Für seine Herstellung verwendet man üblicherweise die Filets des Bonitos, die erst gekocht, dann mehrfach geräuchert und schließlich mit Hilfe eines Pilzes reifen und getrocknet werden. Es entsteht eines der faszinierendsten essbaren Dinge, die ich kenne. Das Filet ist hart wie Stein, fühlt sich an wie sehr kompaktes Holz und riecht wunderbar mild geräuchert. Seine Haltbarkeit ist unbegrenzt. Zusammen mit Kombu verschenkt man ihn in Japan zur Hochzeit, um der Ehe einen langen und guten Geschmack zu geben. Am – eigentlich ganz schönen – Klang erkennt der Produzent den optimalen Trocknungsgrad. Wenn man das Filet dann hobelt, fallen leuchtend rot-bräunliche Späne herunter, die voller Geschmack sind. Man kann das Filet mit und ohne den blutigen Teil haben, Letzteres macht ihn feiner, nimmt ihm aber Substanz, mit und ohne Fett sowie mit und ohne Pilzfermentation. Die Möglichkeiten sind vielfältig und haben deutliche Auswirkungen auf den Geschmack des Dashi.

Ähnlich beim Kombu. Fast alle Kaiseki-Köche setzten auf die Sorten von den Nordküsten Hokkaidos und es ist unter ihnen Common Sense, dass der sogenannte Rishiri-Kombu als der beste für ihre Küche gilt. Manche jedoch, wie Kunio Tokuoka vom berühmten Kitcho, gehen ihre eigenen Wege und verwenden zwei Sorten, den Rishiri-Kombu für einen leichten Sommer-Dashi und den Ma-Kombu für wärmende Winterfonds. Darüber hinaus gibt es noch einige andere weitere Sorten, die man eher für einfachere Gerichte nimmt.

Schließlich: das Wasser. Noch bevor ich das erste Mal in Japan war, las ich von einem alten japanischen Koch sinngemäß folgenden Satz: Alles beginnt beim richtigen Wasser. Ohne könne er nicht kochen. Ich fand das gleichzeitig merkwürdig und weise. Für den Dashi soll es vor allem weich sein, wie für einen guten Tee, damit die Inhaltstoffe tatsächlich ausgezogen werden können und in die Flüssigkeit übergehen. Die Kaiseki-Köche nehmen das Wasser durchaus ernst. Manche verfügen über den Zugang zu einem Brunnen, wie zum Beispiel das Kikunoi (Kiku no i bedeutet übersetzt Chrysanthemenbrunnen). Dort ist in der Küche ein eigener Hahn für dieses Wasser installiert. Es wird zum Wässern von Gemüse verwendet – und für den Dashi. Regelmäßig wird es in Kanister abgefüllt und in die Filiale nach Tokyo geschickt, um auch dort den Hausgeschmack des Kikunoi zu gewährleisten. Das Wasser in Tokyo gilt als hart und nach Meinung der Kyotoer Köche als ungeeignet für das feine Kaiseki.

Hat man sich für Wasser, Katsuobushi und Kombu entschieden, dann bietet auch die Zubereitung Variationsmöglichkeiten. Tokuoka vom Kitcho lässt den Kombu wie in der zenbuddistischen Tempelküche über Nacht im Wasser ziehen und gewinnt dadurch einen Fond, der fast dickflüssig von den Algen läuft, wenn man diese entfernt. Der Geschmack ist mild und voll, so wie wenn man einen feinen Gyokuro kalt extrahiert. Man spürt, dass das Wasser eine etwas dichtere Konsistenz gewonnen hat. Das ist ein sehr interessanter Effekt und hatte für mich beim ersten Probieren eine irgendwie neue Qualität. Anders als im Kikunoi wird der Dashi auf dieser Basis à la minute zubereitet – inklusive der Herstellung der Bonitoflocken. So entsteht ein Fond, der sehr leicht ist und mit feinen, fast luftigen Aromen daherkommt, während sich in Menüs von Kaiseki-Restaurants, die mit dem Sechzig-Minuten-sechzig-Grad-Dashi arbeiten, manchmal in der Mitte des Essens so eine Art Umami-Tinnitus einstellt.

Das ist das Schöne am Dashi: Wenn man es übertreiben will, durch ein simples Zuviel an Umami, dann schlägt er gnadenlos zurück und wird penetrant. Dazu reichen schon ein paar Körnchen Salz.

Der Dashi ist nicht dazu gedacht, sich in den Vordergrund zu drängen. Das ist nicht nur eine kulinarische Geschmacksfrage sondern hat viel mit den Menschen in Kyoto und ihrer Kultur zu tun. Das Gute ist das Feine. Das Schöne zeigt sich oft erst auf den zweiten Blick. Man protzt nicht, sondern zeigt eine kultivierte Zurückhaltung. Die Unterschiede sind fein.

Beim Umami des Dashi geht es nicht allein um den Wohlgeschmack, wie wir bei uns Umami beschreiben. Es geht um eine Relation der Dinge im Raum. Der Dashi ist die Bühne, auf der sich Dinge wie ein Stück Aubergine oder Bambussprosse präsentieren können, in ihrer natürlichen Schönheit, in ihrem Eigengeschmack, versehen mit einem feinen Boost.

Der Koch arbeitet am Nicht-Geschmack des Dashi, damit er den Geschmack der anderen Dinge heben und zeigen kann. Der Dashi wird zum perfekten Hintergrund. Ein europäischer Gemüsefond ist viel breiter und komplexer aufgestellt. Doch seine Wirkung ist nicht so tiefgehend. Auf der Zunge gehen die Glutamate des Kombu mit den Aminosäuren (Inonisate) des Katsuobushi eine Synergie ein, die, so drücken es die Wissenschaftler aus, das geschmackshebende Potential um das Achtfache erhöhen. Da hier nur zwei Zutaten miteinander interagieren, bleibt der Dashi rein und klar. Man muss ihn kochtechnisch nicht aufwendig klären, reduzieren und so weiter. Eine ähnliche Klarheit kennt man in der französischen Küche von der Consommé, die in Technik, Zutaten und Aufwand jedoch deutlich anspruchsvoller ist.

Was macht man nun mit diesem Dashi? Er ist wie eine versteckte Manipulation, um diese faszinierende Einfachheit der japanischen Gerichte hinzubekommen. Er ermöglicht, die Dinge als sie selbst zu essen. Er hilft auch zarten Gemüsen, sich zu zeigen. Man isst eine Möhre, eine Aubergine oder eine Bambussprosse in ihrer natürlichen Schönheit, in ihrem scheinbar natürlichen Geschmack.

Das ist der Dashi, wie ich ihn in Japan kennenlernte

Es ist für mich seitdem spannend zu sehen, wie sich bei uns das Wissen um Dashi und Umami verbreitet. Man weiß nun, dass gereifter Schinken, kristalliner Käse, getrocknete Tomaten und so weiter viel Umami enthalten. Der Dashi taucht auf den Speisekarten vieler Spitzenrestaurants als besondere, weiterhin exotische Zutat auf.

Tomaten in Dashi im Restaurant ernst
Der Dashi prägt gewissermaßen den Grundgeschmack, die Handschrift einer Küche. Hier in einem Gericht aus dem Berliner Restaurant ernst

Gerade wagt das ernst in Berlin einen Brückenschlag zwischen Japan und Deutschland. Dylan Watson, der führende Kopf, hat knapp eineinhalb Jahre beim Drei-Sterne-Koch Seiji Yamamoto in Tokyo gearbeitet. Das merkt man seinen Gerichten an. Sie kommen pur auf den Teller, so wie sie sind. Manchmal kommt auch ein Dashi zum Einsatz, für den er den Grundgedanken beibehält und zum Beispiel anstelle des Bonito Speck vom Mangalitza-Schwein verwendet. Seine Dashis sind straight, mit Ecken und Kanten, mit einem natürlich-ungeschliffenen Charakter.

Das macht den Unterschied zwischen diesem und einem klassischen Kaiseki-Dashi noch deutlicher. Letzterer wird durch Mirin rund gemacht. Sake fügt ein wenig Komplexität hinzu und die Sojasauce gibt ihm Reife und eine goldene Farbe. So entsteht ein Geschmacksbild, das wesentlich für Japan ist und was man gerne als harmonisch bezeichnet. Der Dashi ist rund und plastisch. Er gibt den Dingen Tiefe. Er hat Volumen und doch gleichzeitig keinen eigenen Geschmack. Aus der Perspektive des Zen würde man sagen: Er ist entleert, er schmeckt nach nichts. Das Nichts und das Sein sind im Zen jedoch gleichzeitig präsent. Im Nichts ist alles enthalten, sagt man dort. Das Nichts ist Fülle und der Dashi ist ganz nahe an einem wichtigen Zen-Gedanken: der Fülle des Nichts. Oder dem Geschmack des Lebens selbst.

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Aus Effilee #43, Winter 2017 / 2018
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