Getrunkene Flasche

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Im Wein mag Wahrheit liegen, aber die Wahrheit über den Wein (oder auch andere Getränke) erkennt nur, wer ihn trinkt. In diesen Geschichten geht es um den ganz persönlichen Zugang, eher nicht um aromatische Analysen.

Château d‘Yquem 2001

Es geht um den Moment, in dem alles stimmt: Als ich zum ersten Mal „Weizenfeld mit Zypressen“ von van Gogh sah, diese Bewegungen, dieses Licht – und dann auch noch in Melbourne. Der Anfang der als Lesebuchroman bezeichneten Spaßparade „Der Bahnwärter Sandomir“ von Günter Bruno Fuchs: „Größere Landschaften gab es, doch in der Landschaft Sandomir gab es eine Bahnschranke.“ Oder die Bäume im Hamburger Hirschpark. Jeder weiß wohl, was ich meine, denn jeder hat es schon mal erlebt, so ein kurzes Zusammentreffen mit der Ewigkeit.

Romanée Conti 1966

Einer sagte: Es gebe da diese Flasche, ein Erbstück wohl, immer gut gelagert, und die Erben wüssten nicht so recht, etwas damit anzufangen. Kein echtes Schnäppchen, man müsse schon einen reellen Preis bieten, aber auch nicht überteuert, und man wisse ja nicht, wann man so etwas wieder bekomme. All die guten Argumente also, die man braucht, um viel mehr auszugeben, als man sich vorgenommen hatte, jemals für eine Flasche Wein zu bezahlen. Aber das hat Romanée Conti so an sich: Schon 1760, als der Prinz von Conti diese Parzelle im Herzen des Burgund erwarb, bezahlte er in etwa das Zehnfache dessen, was andere Weingüter der Gegend kosteten.

Getrunkene Flasche: Gut Oggau, Mechthild 2009

Die Atmosphäre, die an diesem Nachmittag im Herbst über Oggau liegt, ist eine Mischung aus High Noon und schwäbischer Vorstadt: Die Sonne brennt, es ist menschenleer, aber darüber hinaus ist auf den geteerten Straßen auch kein Stäubchen zu finden. Ausgerechnet hier soll eines der abgefahrensten Weingüter Österreichs residieren?