Michael Pollan im Interview: Es ist schon interessant, zu probieren, wie eine Ameise schmeckt. Einmal

Michael Pollan hat fünf New York Times Best Seller geschrieben: The Omnivore’s Dilemma: A Natural History of Four Meals (Das […]

Michael Pollan hat fünf New York Times Best Seller geschrieben: The Omnivore’s Dilemma: A Natural History of Four Meals (Das Omnivoren Dilemma), The Botany of Desire, In Defense of Food, Food Rules und zuletzt Cooked: A Natural History of Transformation. (Kochen, eine Naturgeschichte der Transformation) 2010 wurde er vom Time Magazine unter die 100 einflußreichsten Persönlichkeiten der Welt gewählt. Wir sprachen mit ihm anläßlich der Premiere der Netflix Serie ‚Cooked‘ beim kulinarischen Kino der Berlinale 2016
Mr. Pollan, Eine der schönsten Szenen in dem Film war, als Sie das Brot aus dem Ofen genommen haben, da war so viel echter Stolz in Ihrem Gesicht.

Ich hab immer noch dieses Gefühl bei einem guten Laib Brot. Backen Sie auch?

Ja, und ich bin gerade vor einigen Monaten auf Sauerteig umgestiegen. Was für Mehl verwenden Sie?

Wir benutzen Roggen, um unser Brot zu aromatisieren. Wir tun zehn oder zwanzig Prozent Roggen rein, nie mehr als das. Aber ich verwende Vollkornmehl. Der Laib in dem Film, das ist vermutlich 60% Vollkorn. Roggen, und ich verwende viele Alte Getreide und 40 Prozent Weißmehl.

Und Sie führen dann auch den Sauerteig über Jahre hinweg?

Oh, ich hatte gerade eine Tragödie. Jemand hat in unserem Haus gewohnt, wir leben in Cambridge und haben unser Haus vermietet. Und die Frau, die da gewohnt hat, ist eine sehr gute Hausfrau, sie hat den Kühlschrank saubergemacht und den Sauerteig weggeworfen.

Wirklich tragisch!

Aber ich werde neu anfangen. Und es interessiert mich, ob er dann anders ist.

Richard Bourdon, der Bäcker in dem Film setzt alle paar Jahre einen neuen Sauerteig an
Richard Bourdon, der Bäcker in dem Film setzt alle paar Jahre einen neuen Sauerteig an
Bestimmt. Manche Leute sind stolz drauf, ihren Sauerteig über Jahre oder gar Generationen zu führen.

Ich weiß, aber Richard Bourdon, der Bäcker in dem Film, er setzt alle paar Jahre einen neuen Sauerteig an. Aber dort, mit all dem Mehl in der Luft, sieht man schon, dass er vermutlich ganz von selbst geimpft wird. Ich sollte mit Mehl aus seiner Bäckerei anfangen.

Sie schreiben ja nicht nur über Essen. Sie haben für den Newyorker ein Stück über die Verwendung von Psylocibin Pilzen in der Medizin geschrieben. Sehen Sie Parallelen in der Art, wie unsere Gesellschaften mit Essen umgehen und mit Drogen?

Nun, wir investieren in beide sehr viel moralische Energie. In einem fast schon verrückten Ausmaß. Was wir essen und welche Drogen wir nehmen bewerten wir sehr nach moralischen Kriterien. In dem Sinne ja.

Mein Thema ist nicht nur das Essen. Es geht mir um unser Verhältnis zur Natur. Aber wenn man normalerweise von Natur spricht, dann denkt man, man geht in den Wald oder in die Wüste oder in die Wildnis. Mein Ziel als Autor ist, zu zeigen, dass Natur auch auf dem Esstisch steht. Und die Natur ist da, wenn man einen Psilocybin Pilz nimmt. Wir benutzen Pflanzen und Tiere für sehr viele Dinge. Und dieses Verhältnis geht sehr tief. Da gibt es eine gegenseitige Abhängigkeit. Ich fing an über Essen zu schreiben, weil mich die Natur interessierte und mir wurde klar, dass unsere Entscheidungen über das Essen unsere mächtigste Beschäftigung mit der Natur darstellen. Wir verändern die Natur dadurch, wie und was wir essen mehr als mit irgendetwas anderem, was wir tun. Mehr als damit, wie wir unsere Häuser heizen oder unsere Autos antreiben. Landwirtschaft verändert die Verteilung der Arten, trägt 20 – 30% zum Klimawandel bei, Umweltverschmutzung, Bodengesundheit – all diese Dinge.

Michael Pollan in der Netflix Serie Cooked
Michael Pollan in der Netflix Serie Cooked

Ich möchte, dass die Menschen verstehen, dass egal, was sie tun, es immer Einfluß auf die Natur hat. Und dass sie sich dessen bewußt sind und nicht denken, die Natur wäre etwas „da draußen“, sondern dass wir da mit drinstecken.

Aus irgendeinem Grund verändern diese Pflanzen unser Bewußtsein. Und aus irgendeinem Grund verändern wir gern unser Bewußsein. Mein nächstes Buch wird tatsächlich über Psychedelische Drogen sein und nicht über Essen. Mit dem Thema bin ich noch nicht durch.

Ist nicht auch so, dass bei Drogen eigentlich alles erlaubt ist, solange man sie ordentlich verpackt im Geschäft oder einer Apotheke kauft? Aber die Sachen, die man selbst anpflanzt oder im Wald findet sind verboten. Sie haben einen lustigen Artikel geschrieben, wie Sie einmal gewissermaßen versehentlich Opium in Ihrem Garten angepflanzt haben.

Das war lustig, aber auch beängstigend. Es ist wirklich interessant, Sie können losgehen und sich mit einem giftigen Pilz vergiften, aber wehe, Sie nehmen eine von diesen Drogen. Und es gibt auch viele Drogen, die frei verkäuflich sind, die giftiger sind als viele illegale Drogen. LSD hat keine lethale Dosis, sie können sehr schlecht drauf kommen, aber es wird Sie nicht umbringen. Und es gibt frei verkäufliche Schmerzmittel, die Sie in hohen Dosen durchaus töten könnten. Und sie zerstören die Leber. Und das ganze hat natürlich moralische Gründe. Das Bewusstsein zu ändern wird nicht als legitime Verwendung der Droge betrachtet, Schmerzen zu lindern aber schon. Da gibt es schon Parallelen. Aber für mich ist die wichtigste Parallele, dass es einfach ein anderer Weg ist, die Natur in unseren Körper hineinzulassen.

Man könnte behaupten, dass in der Serie Cooked sehr viel in die Vergangenheit geblickt wird. Es gibt da eine gewisse Nostalgie. Ich vermute, das verkauft sich gut. Andererseits scheinen Sie eine sehr offene, wissenschaftlich geprägte Persönlichkeit zu sein. Dass wir zum Beispiel alle länger leben als vor hundert Jahren muss Ihnen doch geläufig sein? Steckt in dieser Nostalgie nicht auch viel Ideologie und moralisches Urteil?

Wissen Sie, wenn Sie wissen, dass etwas scheiße läuft, wenn es ein Problem mit etwas gibt, wohin blickt man, wenn man eine Lösung sucht? Eine der Quellen, die wir haben ist, was in der Vergangenheit funktioniert hat. Traditionen. Manche Traditionen sind dumm und die müssen wir zurückweisen. Aber andere enthalten Weisheit. Ich glaube, es gibt auch eine Art kultureller Selektion, parallel zur natürlichen Auslese. Es gibt einen Grund, dass wir seit hunderten von Jahren Tomaten mit Olivenöl essen, seit die Tomaten nach Italien kamen. Und dann stellt man fest, dass es dabei nicht nur um Geschmack geht, sondern dass es auch einen wissenschaftlichen Grund gibt: der rote Farbstoff Lycopin ist in Öl löslich und so ist das eine wirklich kluge Verbindung. Bei Null anzufangen ist oft ziemlich arrogant. Und das finden wir oft im Zusammenhang mit Revolutionen, wo die Vergangenheit komplett abgelehnt wird. Das empfindet man vielleicht als Befreiung aber man gibt einige schmerzhaft erworbene Erkenntnisse auf, darüber wie die Welt funktioniert und wie die Natur funktioniert. Eine der Quellen der Weisheit ist die Vergangenheit. Wir können nicht in die Zukunft blicken als Quelle der Weisheit. Eine andere Quelle ist die Natur, wie die Natur Dinge macht. Das ist auch ein Modell. Es geht darum, wo man Alternativen findet.

Wenn man über nachhaltige oder ökologische Landwirtschaft schreibt, bekommt man oft zu hören, man würde die Uhr zurückdrehen. Und ich habe mit vielen industriellen Landwirten, gesprochen, und sie sagen alle dasselbe: Mein Großvater war Öko. Und wenn man fragt, was das bedeutet, sagen sie “nun, er hatte keine Pestizide.” Das heisst, sie definieren ökologisch als den vorindustriellen Zustand. Aber das ist überhaupt nicht wahr. Ökologische Landwirtschaft ist ein neues System, das darauf beruht, dass man bestimmte traditionelle Technologien einsetzt. Aber man weiß heute viel mehr über Ökosysteme, als vor hundert Jahren. Das ist tatsächlich ziemlich ausgetüftelt. Es sieht nicht so aus, weil es nichts mit Maschinen zu tun hat, aber es gibt zum Beispiel Fruchtwechsel, die es früher nicht gab. Man hat zum Beispiel herausgefunden, wenn man Weizen nach Kartoffeln pflanzt, dass dann der Colorado Kartoffelkäfer durcheinanderkommt, durch Chemikalien, die der Weizen in die Erde abgibt. Das sieht vielleicht wirklich einfach und primitiv aus, aber das hat erst kürzlich jemand herausgefunden.

Aber ja, man muss wirklich vorsichtig sein mit diesen Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter. Ich denke, das ist eine Falle. Aber man muss auch aufpassen, dass man nicht Dinge ablehnt, weil sie alt sind. Das ist alles, was wir bisher in einem sehr schmerzhaften Prozess von Versuch und Irrtum gelernt haben. Und das sollte man sich schon bewahren. Ich glaube, grundsätzlich ist es ein hybrider Ansatz: man nimmt das Wissen aus der Vergangenheit und kombiniert es mit dem, was man damals noch nicht wusste. So bekommt man Technologien, die funktionieren und wenn sie nicht funktionieren, dann lässt man es.

Was das Kochen betrifft, war früher nicht alles großartig. Die ganze Arbeit wurde von den Frauen gemacht. Für viele Frauen gehörte das zur Unterdrückung dazu. Im Buch kann ich mehr dazu erzählen als im Film: als die Frauen in den 50er Jahren anfingen, die Ungerechtigkeit zu thematisieren, dass die Hausarbeit nur von Frauen erledigt wurde, gab es auch schon eine Menge Marketingstudien. Und das Kochen wollten die Frauen gar nicht aufgeben. Sie wollten gern das Saubermachen aufgeben. Aber nicht das Kochen. Weil sie da kreativ sein konnten. Irgendwann wurde auch das Kochen als eintönig und beengend aufgefasst, aber nicht am Anfang.

Frauen kämpften gegen die Einführung vieler Arbeit ersparender Neuigkeiten in der Küche. Zum Beispiel gegen Backmischungen. Sie lehnten es ab, diese Backmischungen zu verwenden, weil sie nicht die Lorbeeren ernten konnten für den Kuchen, den sie gebacken hatten. Erst als Duncan Hines oder eine dieser Firmen auf die Idee kamen, das pulverisierte Vollei rauszulassen und zu sagen: “Lass die Frauen ein Ei aufschlagen!”, nahmen die Frauen das Produkt an. Sie hatten das Gefühl, etwas selbergemacht zu haben.
Wir wollen also in einem gewissen Maß die Verantwortung für das Essen haben. Und wir ahnen, dass etwas nicht stimmt, wenn wir eine Firma unseren Kuchen backen lassen. Unsere Gefühlslage ist kompliziert, was das betrifft.

Was halten Sie von Fine Dining, von der Spitzenküche?

Hmm, ich glaube das gerät etwas ausser Kontrolle. Ich habe gerade die Noma Dokumentation gesehen. Haben Sie sie gesehen?

Nein, aber ich war im Noma …

Tatsächlich! Ich finde es interessant, aber ich glaube nicht, dass es viel mit dem richtigen Leben zu tun hat. Und ich glaube auch nicht, dass es die Welt verändern wird. Wenn man mein Buch liest oder Cooked sieht: wir haben die Kultur der Restaurants gewissermaßen vermieden.

Es gibt aber schon die Vorstellung, dass die Spitzenküche die Welt retten will. Jeder will die Welt retten …

Ja, und die Köche spielen dabei tatsächlich eine sehr konstruktive Rolle. Aber sehen Sie, Spitzenköche, das sind Profis, die für reiche Leute kochen. In der Vergangenheit war das eine ziemlich dekadente Beschäftigung. Es gibt eine großartige Formulierung bei dem römischen Geschichtsschreiber Titus Livius der sagte: “Wenn eure Köche Berühmtheiten werden, seid ihr auf dem Weg zur Dekadenz”.

Nun, unsere Köche sind Berühmtheiten geworden. Aber ich finde, sie spielen eine konstruktive Rolle. Besonders jene, die ihren Ruhm mit den Bauern teilen und deren Rolle hervorheben. Berühmt sein ist in unserer Kultur sehr wichtig und wir haben die Köche berühmt gemacht. Und einige von ihnen, Alice Waters oder Dan Barber in den USA, Redzepi sicher auch, stehen jetzt im Rampenlicht und sagen: seht her, großartig kochen kann man nur wenn man großartige Bauern hat, seht euch diese Leute an und lasst uns ihre Arbeit würdigen! Das ist fantastisch. Und es gibt Leute wie Tom Colicchio in Amerika, der jetzt Lobbyarbeit für bessere Landwirtschaftspolitik macht. Ich glaube, dass Köche auch anfangen, die Gesellschaft zu ändern.

Zum Teil gleichen sie damit aus, dass sie die meiste Zeit die Reichen unterhalten. Denn einige von ihnen fühlen sich damit gar nicht so wohl, dass sie nicht für gewöhnliche Leute kochen können. Und viel hat es auch damit zu tun, dass sie viel über Essen wissen, wie es angebaut wird und sie übernehmen da jetzt eine Führungsrolle. Alice Waters hat in Amerika mit dafür gesorgt, die Food-Bewegung in Gang zu setzen.

Aber das Essen selbst? Ich mag diese Menüs mit vierundzwanzig Gängen nicht. Zunächst kann ich mir so viele Gänge nicht merken. Und dann sind mir da zu viele Unterbrechungen. Der Kellner kommt da alle zehn Minuten mit einer anderen Geschichte. Man kann bei so einer Mahlzeit keine Unterhaltung führen. Ich finde, es gibt einen Moment, da will man, dass das Essen in den Hintergrund tritt. Man ist in einem Restaurant, um mit Freunden zu reden, mit seinem Partner. Ich finde, es geht dann nur noch um das Ego des Kochs. Und um seine Genialität. Das ist mehr wie ins Theater oder in ein Museum zu gehen, als eine Mahlzeit einzunehmen.

Wenn ich in ein Restaurant gehe, und ich mach das manchmal ganz gerne, dann ziehe ich einfacheres Essen vor, weniger aufdringliches Essen, worüber man nicht die ganze Zeit sprechen muss. Essen, das man auch ohne einen zehnminütigen Vortrag kapieren kann.

Ein Foodie, sagt er, ist Michael Pollan nicht
Ein Foodie, sagt er, ist Michael Pollan nicht

Es ist schon interessant, zu probieren, wie eine Ameise schmeckt. Einmal. Glaube ich, das Ameisen ein wichtiger Teil der menschlichen Küche werden? Nein. Ich denke sie sind gut dafür, die Tiere zu ernähren, die wir essen wollen und ich glaube, dass ist prima. Wir sollten viele Insekten züchten, um damit Hühner und Fische zu füttern. Lass die die Käfer essen, die wir dann essen.

Wie auch immer. Ich glaube nicht, dass die Spitzenküche sehr wichtig ist, wenn man von der Ernährung spricht und das ist einer der Gründe, warum wir sie aus dem Film rausgelassen haben. Ich habe viel Zeit mit [dem argentinischen Starkoch] Francis Mallmann verbracht. Eine Woche haben wir gemeinsam bei einer Reihe von Dinners gekocht, die er gegeben hatte. Ich habe viel über seine Technik gelernt und es war wirklich interessant. Aber am Ende beschloss ich, mich doch mehr auf [den Barbecue Meister] Ed Mitchell zu konzentrieren, dessen Art zu Kochen aus einer viel volkstümlicheren Tradition kommt.

Sind Sie ein Foodie?

Ich hasse dieses Label Foodie. Und ich verstehe auch jene, die der Food-Bewegung vorwerfen, elitär zu sein. Deshalb wollten wir einen Film drehen, in dem es wirklich um Leute geht, die sehr einfache, grundlegende Dinge tun, und deren Produkte tatsächlich auch nicht sehr teuer sind. Und jeder kann sie kaufen. Kochen ist eine grundsätzlich demokratische Beschäftigung. Jeder kann es tun. Man muss keine professionelle Ausbildung dafür haben. Noch haben alle eine Küche.

Die meisten jedenfalls …

Die meisten. So weit sind wir noch nicht, wo sie Häuser nur noch mit Mikrowellenöfen und einer Spüle verkaufen. Und man kann immer noch rohe Zutaten im Supermarkt kaufen, obwohl es immer mehr Fertigmahlzeiten gibt. Wir können es also immer noch machen. Und bevor man es uns ganz wegnimmt, lassen Sie uns versuchen, es neu zu bewerten, lassen Sie uns versuchen, den Leuten zu zeigen, dass dies eine wertvolle Art ist, Zeit zu verbringen. Und eine angenehme Art, Zeit zu verbringen. Sie sprachen davon, wie zufrieden ich mit dem Brotlaib aussah …

Ja, Sie nahmen es aus dem Gärkorb raus und es sah eher seltsam aus.

Richtig. Aber wir hätten das nicht nochmal drehen können. Wir hatten nur zwei Laibe Brot. Aber es hat sich im Ofen wieder gefangen. Ich habe damit immer ein Problem, wissen Sie, der Topf wurde auf 250 Grad vorgeheizt, man muss da wirklich vorsichtig sein. Aber das gibt mir mehr Befriedigung, als einen guten Absatz zu schreiben.

Ich weiss wirklich, was Sie meinen!

Wenn man über Kochen spricht, geht es oft nur darum, wie lästig es ist. Und wenig über diese Freuden. Die sind da. Und das ist eine der Sachen, die wir würdigen wollten.

Wenn man sieht, wie riesig die Nahrungsmittelindustrie ist, wie mächtig sie ist. Sie haben geschrieben, dass Präsident Obama es geschafft hat, die Probleme im Energiesektor anzugehen, aber im Ernährungssektor es nicht einmal versucht hat. Glauben Sie denn, dass wir eine Chance haben?

Ich denke, es wird schwierig, es ist ein großer Kampf. Aber wir kämpfen an verschiedenen Fronten. Ja, wenn die politische Bewegung stark genug wird, werden wir die Nahrungsmittelindustrie und die Subventionen und diese Sachen auch direkt angehen müssen. Aber in der Zwischenzeit bauen wir ja schon diese alternative Wirtschaft auf. Und die wird immer größer und stärker. Mittlerweile gehören mächtige Personen dazu, Vorstände von Nahrungsmittelfirmen, Whole Foods und Stonyfield Yoghurt, die sich auch in die politische Debatte einschalten, wenn es zum Beispiel darum geht, gentechnisch veränderte Produkte zu kennzeichnen, und die schaffen es auch, einen Termin beim Präsidenten zu bekommen, oder den Landwirtschaftsminister.

Wir sind noch nicht so weit, die Sache frontal anzugehen, aber es gibt diese alternative Wirtschaft, die schnell wächst und derzeit vermutlich etwa 50 Milliarden Dollar im Jahr ausmacht. Und allmählich wird das auch in Washington beachtet. Das wird alles eine Weile dauern. All diese politischen Auseinandersetzungen, das dauert ein paar Genrationen. Das passiert nicht in einer Generation, wir haben gerade erst angefangen. Manche Leute sind frustriert, dass es nicht schneller geht, Obama hat Erwartungen geweckt, die er nicht erfüllt hat. Ich glaube schon, dass er das Ernährungssystem reformieren wollte, und er dachte wohl, er hätte einen Reformer berufen, als Staatssekretär für die Landwirtschaft, der aber keiner war. Aber seine Frau hat viel dafür getan, das Bewusstsein für diese Angelegenheiten zu schaffen. Aber er musste einige Rückschläge hinnehmen. Er hatte eine große Anti-Kartell Initiative begonnen, er wollte sich mit den großen Fleischkonzernen und Monsanto anlegen, und es gab Hearings dazu, aber 2010 find die Wall Street an, ihm vorzuwerfen, dass er wirtschaftsfeindlich wäre, und da hat er sich zurückgezogen. Er war etwas befangen, in den ersten Jahren. Und er hatte auch große Probleme. Ich bin schon von ihm enttäuscht, aber das Bewusstsein hat sich dennoch geändert. Und man muss das Bewusstsein ändern, bevor man die Politik ändern kann. Vielleicht ist das der Grund, warum er seiner Frau die Ernährungsthemen überlassen hat. Vermutlich war das kluge Politik.

Aus Effilee #36, Frühjahr 2016
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